Mit „Leben und Sterben in Wien“ von Thomas Arzt widmet sich das Theater in der Josefstadt zum 90. Jahrestag der Februarrevolution der österreichischen Zwischenkriegszeit. Für Herbert Föttinger wird die Inszenierung die letzte Regie in seiner Zeit als Direktor sein, wie es seitens des Theaters heißt. Föttinger hatte bereits angekündigt, sich nach Auslaufen seines Vertrags 2026 nicht erneut zu bewerben. Vor der Uraufführung am 7. März spricht der aus Oberösterreich stammende 40-jährige Autor Thomas Arzt im Interview über seinen Antrieb, politische Stoffe auf die Bühne zu bringen, die Rolle seiner Herkunft beim Schreiben der Figuren und seinen Wunsch, demnächst eine „Dramapause“ einzulegen, um sich der Prosa zu widmen.
SONJA HARTER: Innerhalb von nur sechs Wochen feiern drei Ihrer Stücke Uraufführung. Nach Linz („Das unschuldige Werk“) und Bozen bildet am 7. März „Leben und Sterben in Wien“ im Theater in der Josefstadt den Abschluss. Wie gestresst sind Sie derzeit?
THOMAS ARZT: Ja, es ist etwas beengt. Diese Dichte ist durch Verschiebungen entstanden. Andererseits hat man den Stress dann auf einmal erledigt. Theater ist immer so ein hysterischer Moment. Plötzlich glauben alle, man ist wichtig und die Scheinwerfer sind an. Und dann bin ich ganz froh, wenn das wieder im Ruhigen weiterläuft. Das Schreiben ist ja eher etwas Längerfristiges.
Aber bis zu zwei Uraufführungen pro Jahr haben Sie meistens.
Bei den Texten geht es immer um Themen, die mir wichtig sind, die es nötig machen, dass man schreibt. Das Theater ist ja immer ein Ort, wo man direkt Sachen verhandeln kann, die uns alle als Gesellschaft betreffen. Zudem ist es so, dass ich vom Schreiben lebe und dahinter bin, dass wieder was vorangeht. Mal schauen, wie es weitergeht, weil derzeit reizt mich mehr die Prosa, und da versuche ich mir das Theater vom Leib zu halten.
Das klingt nach einer „Dramapause“.
Ja, die nehme ich mir vor. Aber erfahrungsgemäß holt mich das Drama immer ganz schnell wieder ein. Da kommt ein Stoff, eine Idee, und dann lasse ich mich wieder darauf ein. Aber „Leben und Sterben in Wien“ ist jetzt das 20. abendfüllende Theaterstück, ich möchte jetzt für mich eine Zäsur setzen. Ich habe viele geschichtliche Theaterstücke geschrieben, wo es um die Aufarbeitung von Vergangenheit ging, was natürlich immer eine Brücke ins Heute schlägt. Und das ist für mich mit diesem Stück mal ein Endpunkt. Das nächste Stück ist sicher ein Gegenwartsstück. Ich möchte jetzt mal eine Zeit lang keine Aufträge mehr annehmen, sondern in mir kramen, was da noch ist.
Wie kam es dazu, dass Sie ein Stück zum 90. Jahrestag der Februarrevolution geschrieben haben?
Das Stück begleitet mich echt schon lange. Ich habe mir vor fünf Jahren die ersten Notizen gemacht. Es war ja schon zweimal am Spielplan, dann kam die Pandemie. Es sind sehr viele Beteiligte, da war die Sorge groß, dass irgendwer krankheitsbedingt ausfällt. Jetzt kommt es einerseits zum Jahrestag, andererseits sind die politischen Umstände derzeit oft deckungsgleich oder bedrohlich ähnlich. Damals war es eine konkrete Anfrage von Herbert Föttinger, weil er gern etwas über Faschismus erzählen wollte. Und da rennt er offene Türen bei mir ein.
Ich war zunächst aber zögerlich, weil in dem Thema viel Schwarz-Weiß lauert und auch politische Erwartungshaltungen stecken, sich zu positionieren. Da war es mir wichtig, einen eigenen Weg zu finden, was ich dann anhand dieser Figur der Fanni versucht habe, die in den Geschichtsbüchern so nicht konkret auffindbar ist. Sondern es sind mehr Erzählungen von meiner Oma und von dem Dorf, wo ich herkomme. Ich komme aus einem sehr konservativen Haushalt, und das ist auch immer wieder ein Los- und Wegschreiben von diesen Wurzeln. Es geht aber nicht um eine Verteufelung, sondern die Frage, welchen Horizont hat jemand, der da aufwächst. Und dann gebe ich der Figur eine Frau dazu, die von außen kommt, mit ganz anderen Visionen, Utopien und ich schaue mir an, was passiert.
Fanni wird nicht nur zum politisch denkenden Menschen, sondern an ihrer Figur zeigen Sie auch ganz stark, dass Emanzipation damals nicht so leicht war …
Ich glaube, wenn Emanzipationsbestrebungen wirklich in den Alltag übergehen, wo jemand die Möglichkeiten bekommt, freier zu leben, schlägt das Patriarchat zurück. Dann sind plötzlich die Diktatoren wieder zur Stelle. Das ist das, was jetzt auch immer wieder passiert. Die reaktionären Muster sind nicht totzukriegen. Und diese Frauenfigur wird eben auch von der Vergangenheit wieder eingeholt, muss wieder um ihre Freiheit ringen.
Ihr Stück spielt zwischen 1927 und 1934 und zeigt die Vorgeschichte zum Nationalsozialismus. War es schwierig, nicht zu sehr vorzugreifen?
Die Geschichte lebt auch vom Vorwissen des Publikums. Der faschistische Boden ist spürbar. Die totalitären Strukturen sind über Jahrzehnte gewachsen. Der Extremismus kommt von allen Seiten, und dass da ein Hitler Erfolg haben wird, ist nicht verwunderlich.
In gewissen Szenen fühlt man sich – auch durch eine teils sehr heutige Sprache – an die Gegenwart erinnert. Denken Sie, dass man das auch vor 30 Jahren so gesehen hätte oder ist die Stimmung im Land noch einmal anders als zu Haiders Zeiten?
Die Demagogie ist eine Konstante in der Geschichte, glaube ich. Und dass Menschen faszinierend sind für andere, die sich nicht wahrgenommen fühlen, frustriert sind, sich abgehängt fühlen oder einfach nur wütend sein wollen. Manche wollen ja wirklich wütend sein und sind froh, dass einer da vorne sagt: Dein Hass ist gut. Das hat es zwar immer gegeben, aber jetzt ist es glaube ich noch systematischer. Es sind sehr viele Vorfeldorganisationen da, also auch junge, feurige Menschen, die rassistische, menschenverachtende Ideale vertreten und mit demokratischen Grundbegriffen nichts anfangen wollen. Und wenn Herr Kickl bei seiner Rede am Aschermittwoch so salopp nebenbei sagt, dass die Straße schon eine Antwort darauf haben wird, wenn das Wahlergebnis nicht akzeptiert wird – davor habe ich Angst. Wenn es systematische Aggression gibt auf der Straße und der Sicherheitsapparat handeln muss, geht das nie gut aus für die Demokratie.
Macht Ihnen zumindest ein bisschen Hoffnung, wie viele Menschen zuletzt auf der Straße waren gegen rechts?
Ja, natürlich. Und ich glaube, diese Zeichen dürfen nicht abbrechen. Es muss aber auch ein politischer Diskurs stattfinden, die Entzauberung der Rechten durch politische Argumente. Und ich bin da schon ein Idealist. Ich glaube an die Vernunft der Menschen. Theater ist ein Teil des Ganzen und sorgt dafür, dass die Öffentlichkeit wach bleibt. Deswegen mache ich das.
Was halten Sie davon, wenn Debatten einfach abgedreht werden, etwa wie jüngst bei der Räumung des Dollfuß Museums?
Das ist ein österreichisches Symptom, dass Dinge dann besser nicht groß diskutiert werden sollen, weil man sonst vielleicht verwundbar wird. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, eine Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten, dass man die Widersprüchlichkeit aufzeigt und daraus wirklich einen Ort macht, wo etwas passiert. Auch beim Hitler-Geburtshaus ist das geschehen, wo jetzt eine Polizeistation untergebracht werden soll. Verdrängung hat noch nie Probleme gelöst.
Interview: Sonja Harter