Radu Jude ist in Fahrt. Nach einem Goldenen Bären für „Bad Luck Banging or Loony Porn“ heimste der rumänische Regisseur vergangenes Jahr für sein neues Werk „Erwarte nicht zu viel vom Ende dieser Welt“ in Locarno den Jury-Spezialpreis ein. Darin schickt er eine Produktionsassistentin auf eine äußerst lange Autofahrt, die er in einem formal statischen, aber inhaltlich dynamischen Filmdreh gipfeln lässt.
Der Wecker zeigt 5.50 Uhr, Zeit für Angela (Ilinca Manolache) aufzustehen. Schließlich hat die Produktionsassistentin einen äußerst langen Tag vor sich, wie im Rahmen der folgenden 163 Minuten Spielzeit ausgebreitet wird. Sie muss für ein österreichisches Unternehmen mehrere von Arbeitsunfällen versehrte Personen im Großraum Bukarest aufsuchen und für die Auftraggeber abklären, ob diese für einen Unternehmensfilm zu Sicherheit am Arbeitsplatz infrage kommen.
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Dampf ablassen in Überspitzung
Dabei nutzt sie jede Gelegenheit, äußerst vulgäre Kurzvideos anzufertigen, die sich in den sozialen Medien bereits gewisser Beliebtheit erfreuen. Als lächerlich toxischer Mann mit Monobraue und Glatze feiert sie erfundene sexuelle Errungenschaften, hat aber auch Seitenhiebe – etwa auf die Kirche – parat.
Mit ihrer extremen Überspitzung sieht sich Angela in der Tradition von Charlie Hebdo – und will zudem ganz banal Dampf ablassen. Das ist angesichts von Arbeitstagen, die häufig die 15-Stunden-Marke überschreiten, aggressiven Verkehrsteilnehmern und einem äußerst uneinsichtigen Chef, bei dem sie auch noch um ihr Gehalt betteln muss, auch bitternötig.
Jude verschneidet die in grobkörnige Schwarz-Weiß-Bilder gehaltene Odyssee mit Sequenzen aus dem Film „Angela Merge Mai Departe“ (1982). In Farbe bekommt man hier eine Taxifahrerin zu sehen, die von ihrer Arbeit ebenfalls stark beansprucht wird und von Jude letztlich als Pensionistin ohne ordentliche Pension in „Erwarte nicht zu viel vom Ende dieser Welt“ gehoben wird. Zur Höchstform schwingt sich der Film aber durch eine augenscheinlich einzige, lange, statische Einstellung des skurrilen Unternehmensfilmdrehs auf, der sich für einen Rollstuhlfahrer samt dessen Familie als inhaltlich äußerst dynamisch entpuppt.
Ausbeutungserzählung
Judes Ausbeutungserzählung besticht durch einen scharfen Blick auf die neoliberale Gesellschaft, eine gehörige Portion Humor, Passagen so quälend wie manchmal das Leben, aber letztlich vor allem durch die spannende Erzählweise. Jude selbst, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnete, beschreibt diese als „Bukarester Baustil“. Rechne mit nichts, erwarte alles, könnte man aus Publikumsperspektive auch dazu sagen. Erfrischend!