„Gloria!“: Wie ein Mädchenorchester die Crossover-Musik erfindet

Italienische Produktion von Margherita Vicario nimmt es mit der historischen Wahrheit nicht so genau

Nach der Vorführung des italienischen Wettbewerbsbeitrags „Gloria!“ der Regisseurin Margherita Vicario gab es bei der diesjährigen Berlinale Buhrufe und Applaus. „Gloria!“ – ab Donnerstag im Kino – war zweifellos einer der wenigen Festival-Filme, der das Publikum nicht kalt ließ: Ein Klavier kommt nach Venedig, doch es geht in dem Historienfilm weniger um diese Neuheit, sondern um eine musikalische Zeitenwende und eine Metapher weiblicher Emanzipation.

Man schreibt das Jahr 1800. Mühselig wird ein neuartiges Instrument, ein Pianoforte, in einer riesigen Holzkiste nach Venedig transportiert. Dort verschwindet es erst einmal in einem Keller. Zwei Stockwerke darüber probt ein Mädchenorchester unter der verzweifelten Leitung von Kapellmeister Perlina (Paolo Rossi). Denn der Papst hat sein Kommen angekündigt, und Perlina soll ihm zu Ehren etwas aus eigener Feder zur Aufführung bringen. Doch eine arge Kompositionsblockade hindert ihn daran, auch nur eine einzige Note zu Papier zu bringen.

Inzwischen hat die angeblich stumme Magd Teresa (Galatéa Bellugi) das Klavier im Keller entdeckt und beginnt, darauf zu improvisieren. Schließlich stoßen auch die jungen Chor- und Orchesterdamen von Sant Ignazio, allesamt einstige Waisenkinder, auf Teresa und das Klavier. Flugs wird das muffige Gemäuer zum Ort nächtlicher Sessions für jazzige Rhythmen der Girlsband.

Ab hier hebt der Film ab ins Fantastische. Die bis dahin graue Maus Teresa wird von den Mädchen wegen ihres ungewohnt modernen Zugangs zur Musik bald als eine der ihren geachtet, ja sogar ob ihres Talents hochgeschätzt. Selbst ihre erst traditionalistische Widersacherin Lucia (Carlotta Gambia) kann die Allrounderin nicht nur mit musikalischem Können, sondern auch mit Kenntnis in erster Hilfe überzeugen, während die ehrwürdigen Schwestern nur hysterisch kreischen.

Dass Lucias Abschiedsbrief von der Welt umgehend in der Band poppig vertont wird, mag eine Frage des Geschmacks sein, was aber in der lockeren Erzählweise des Films nicht weiter thematisiert wird. Alles wird flott und leicht gespielt. Im Handumdrehen werden nicht nur für damalige Verhältnisse unüberwindbare Probleme rasch gelöst. Der Papstbesuch samt rasch ausgesprochener Massenexkommunikation erinnert an die Streiche aus den deutschen Pauker-Filmen der späten 60er Jahre. Historisch genau darf man „Gloria!“ nicht nehmen, sondern sollte sich vielmehr an der Idee der Erfindung des Crossovers in der Musik durch Mädchen im Venedig des beginnenden 19. Jahrhunderts erfreuen.

„Gloria!“ ist ein Dokument weiblicher Selbstvergewisserung und Selbstbestimmung. Dass diese aber in Venedig keineswegs stattgefunden hat, beweist ein Insert gegen Ende des Films: Rund 4.000 Waisenmädchen besuchten im Lauf vieler Jahrzehnte die dortigen Musikschulen, doch nur eine verschwindende Zahl ihrer Kompositionen ist bis heute erhalten. Aber wie in so manchem italienischen Film geht zum Schluss, jedenfalls in Sant Ignazio, (fast) alles gut aus.

Die mobile Version verlassen