Heinz Strunk schreibt eigene Version von Manns „Zauberberg“

Ist dieses Buch eine Hommage an den Jahrhundertschriftsteller Thomas Mann – oder ein Affront? Der Hamburger Heinz Strunk hat einen Roman über den Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik geschrieben und ihn einfach mal „Zauberberg 2“ genannt. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr von Thomas Manns „Der Zauberberg“, der im November vor 100 Jahren erschienen war.

Natürlich war das Timing Absicht, gab Heinz Strunk unlängst in Lübeck bei einem Treffen der Thomas-Mann-Gesellschaft zu. Verkauft sich ja auch gut. Gleichzeitig soll der Roman eine Verneigung vor Thomas Mann sein, sagt er. „Ich begreife das schon als Hommage. Das ist ja schon ein großes Werk und ich habe versucht, eine zeitgenössische Interpretation zu schreiben. Und ich finde, das ist mir ganz gut gelungen“, sagt der aus Niedersachsen stammende Autor im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Die implizierte Frechheit hat Strunk gereizt

Die Idee dazu habe er schon vor etwa sieben Jahren gehabt. „Einfach nur die Formulierung “Zauberberg 2″. Und dann habe ich das in meine Sammlung geschrieben und erst mal liegen gelassen.„ Irgendwie sei für ihn ein Reiz von der “implizierten Frechheit, dieses literarische Monument mit einer schnöden 2 zu versehen“ ausgegangen. Doch es bedurfte dann doch einiger Vorarbeit. „Wenn ich das tatsächlich machen wollte, dann müsste ich den Zauberberg lesen und mich in ein Sanatorium begeben.“ Gesagt, getan.

So gibt es nun „Zauberberg 2“ und der hat natürlich viele Parallelen zu Manns „Der Zauberberg“. Allen voran: Der Protagonist wollte eigentlich nur mal kurz ins Sanatorium und sich heilen lassen und bleibt am Ende doch deutlich länger. Allerdings ist es keine Lungenklinik, sondern eine Klinik für psychosomatische Erkrankungen. „Frische Luft und Liegekuren – viel passiert ja nicht im “Zauberberg“. Das weite Feld der Psychosomatik finde ich viel ergiebiger“, sagte Strunk. Für seine Recherchen war er zehn Tage lang auch selbst in einem solchen Sanatorium und hat abends immer seine Beobachtungen aufgeschrieben. Wo genau er war, verrät der 62-Jährige nicht. Mehr als ein Jahr habe er im Anschluss an dem Roman gearbeitet.

Seelische Schieflage

„Zauberberg 2“ dreht sich um Jonas Heidbrink. 36 Jahre alt, dank einer Erfindung sehr reich und unzufrieden mit seinem Dasein. Seelische Schieflage. Also bucht sich der ansonsten Kerngesunde in eine Klinik im Nirgendwo von Mecklenburg-Vorpommern ein. Selbstzahler. 823 Euro am Tag.

Mit Heidbrink tauchen die Leserinnen und Leser tief in den weitgehend tristen und wenig abwechslungsreichen Klinikalltag ein. Das Essen im Speisesaal, die Eigenarten der Mitpatienten, die Sitzungen, die Therapeuten, die verschiedenen Therapieansätze, verstopfte Abflüsse, Vitalwerte, körperliche Reaktionen und Langeweile – man ist direkt mit in Heidbrinks Kopf unterwegs. Einiges davon hat Strunk selbst so erlebt, sagt er.

Präziser Beobachter mit scharfsinnigen Beschreibungen.

Strunk zeigt sich dabei einmal mehr als präziser Beobachter mit scharfsinnigen Beschreibungen. Manchmal blitzt dabei sogar kleine und unerwartet liebevolle Poesie durch die Zeilen. So beschreibt Strunk beispielsweise einen Linseneintopf mit diesen Worten: „Der schöne heiße Eintopf umschließt Heidbrinks Herz, sein Inhalt ist wie ein Konzentrat der Welt. Ich und mein Eintopf: Zweitopf.“ Auch die Erinnerung ans kindliche Hüpfen als Lebensgefühl kommt mit Kraft um die Ecke.

Vor allem aber ist „Zauberberg 2“ ein Wechselbad der Gefühle und Gedanken in Moll – Elend, Trostlosigkeit, Vergänglichkeit, Verzweiflung, Melancholie, Enttäuschung, Sinnlosigkeit. Es ist ein gemeinsames Absitzen der sich allzu zäh dahinziehenden Zeit in einer Klinik, die währenddessen selbst auch langsam zugrunde geht.

Wenn die Zeit sich wie Kaugummi zieht

Dieses Gefühl hat Strunk so gut in den Roman gepackt, dass sich auch das Lesen teilweise wie Kaugummi zieht. Ein wichtiger Unterschied zu „Der Zauberberg“ an der Stelle: Strunk kommt nicht wie Mann auf etwa 1.000 Seiten, sondern erzählt seine Geschichte auf schlanken 276 Seiten. Liebe, Sex und Alkohol finden – anders als sonst in Strunk-Büchern – in „Zauberberg 2“ keinen Platz. „Das habe ich ganz bewusst ausgespart diesmal. Das kam ja auch bei Mann nicht vor.“

Spannend ist für Mann-Fans sicherlich der Teil des Romans, der plötzlich recht abstrus und anders daher kommt. Auf den letzten Seiten verwebt Strunk seine Worte mit denen von Thomas Mann im „Zauberberg“ und lässt so die 100 Jahre alten Fieberträume in den Gedanken eines modernen Kranken wieder aufleben.

Ob er wohl mit Mann befreundet wäre, wenn sie zeitgleich gelebt hätten? „Vermutlich nicht so sehr“, sagt Strunk dazu. Das sehr bürgerliche Leben Manns mit den strengen Regeln, sagenhaften Korrespondenzen und dem Leben im Verborgenen sei eher nichts für ihn.

(Von Christiane Bosch/dpa)

Die mobile Version verlassen