„Höchst erstaunt, dass ich so viel gemacht habe“

Der renommierte oö. Künstler Helmuth Gsöllpointner blickt zum 90er auf sein Schaffen zurück

Helmuth Gsöllpointner
Helmuth Gsöllpointner © wikimedia/Bernd Holub

Eigentlich wollte er ja wie sein Vater und drei seiner Brüder Förster werden. „Doch mein Lehrer hat zu meinem Vater gesagt: ,Der Bub soll was anderes lernen, seids eh schon genug Förster´“, erinnert sich Helmuth Gsöllpointner im VOLKSBLATT-Gespräch.

Heute blicke er „höchst erstaunt“ auf sein Leben und Wirken zurück, so der weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannte (Metall-)Bildhauer, Designer, Ausstellungsgestalter und ehemalige Universitätsprofessor und Rektor, dessen Engagement zur Positionierung von Linz als moderne Kulturstadt maßgeblich beigetragen hat. Am 30. September feiert „Xö“ seinen 90. Geburtstag. Das Linzer Schlossmuseum würdigt ihn mit der Ausstellung „Stahlstadt“ (ab 29. September).

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Der Brunnen der Bruckner-Uni, die Skulpturen „Evolution“ an der Donaulände und „Brücke und Strom“ an der Mühlkreisautobahn. Helmuth Gsöllpointner hat viele künstlerische Markierungen in Linz gesetzt. Geboren und aufgewachsen in Bad Leonfelden, hat er schon als Bub viel gezeichnet. „Nach dem Krieg, als es nix gegeben hat, hab´ ich einmal ein großes Salzstangl gekriegt für ein Bild, das ich für jemanden gemalt habe — einen Fuchs, der vor einem Mausloch wartet“, erinnert er sich. Zu seinen Motiven habe aber auch Luis Trenker gezählt, den er mit Seil, Pickel und berühmtem Hut von einer Filmzeitschrift abgezeichnet habe. Den legendären Bergsteiger traf er Jahrzehnte später und erzählte ihm lachend davon, dass er indirekt mitbeteiligt sei daran, dass es heute in Linz eine Kunstuniversität gibt.

Kardinal Königs Kette

Doch von vorne: Sein Vater schickte den begabten Buben jedenfalls nach Steyr in die Stahlschnittschule, wo er sein Handwerk erlernte. Danach ging „Xö“ an die Akademie nach Wien und studierte dort von 1951 bis 1955 Metall- und Industrieformgebung. Zurück in Linz richtete er sein Atelier in der Voest ein. Neben freien Plastiken entstanden in den 50er-Jahren in Stahlschnitttechnik viele Auftragsarbeiten für Staatsbesuche und die Kirche: Kirchentore, Tabernakel, Abt- und Bischofsstäbe, Kelche und Monstranzen. Für Kardinal König gestaltete Gsöllpointner ein Brustkreuz. „Damals gab es eine Annäherung der SPÖ an die Kirche, von Kreisky an Kardinal König, und da hat die Voest als Auftraggeber an mich eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. Ich hab´ erst viel später bemerkt, dass ich da eigentlich ein Werkzeug war.“ Für die thailändische Königin Sirikit fertigte Gsöllpointner einen Handspiegel an, Nikita Chruschtschow erhielt eine Schale mit Darstellungen der Voest-Geschichte. Für Heinrich Harrer hat er ein Fenstergitter entworfen und für den berühmten Architekten Josef Hoffmann war er schon als Student im Einsatz.

Neue Wege in der Skulptur

Gsöllpointner arbeitete zunächst mit der Stahlschnitttechnik, später entstanden Schweißplastiken und gießtechnische Experimente, in den 70er-Jahren entwickelte er die Gusstechnik mit verlorener Form mit Porit. Damit und mit seinen veränderbaren Teleskop-Plastiken emanzipierte er sich von der klassischen Skulptur und fand schon bald national und international Anerkennung. Er stellte u. a. im MAK und im Leopold Museum in Wien, in Zürich, den USA oder Barcelona aus. Sein Schmuck wurde 1977 auf der Weltausstellung in Montreal präsentiert, in London seine variablen Objekte, das MoMA in New York verkaufte in seinem Shop Schmuck, den Gsöllpointner mit seinem Freund Arthur Viehböck gestaltet und für den die beiden ein Patent entwickelt hatten. Rückblickend auf 70 Jahre künstlerisches Wirken zeigt sich Gsöllpointner im Gespräch „erstaunt, höchst erstaunt, dass ich so viel gemacht habe und auf welchen Gebieten“.

Manchmal habe ihn ein Thema so gefesselt, dass er jahrelang daran gearbeitet habe, erinnert er sich an die Anfänge seiner berühmten variablen Objekte, Plastiken mit einem komplexen Innenleben, die vielschichtige Anordnungen in Länge, Breite und Tiefe ermöglichen: „Für die Vorbereitung hab ich aus einem großen Block Porit ein Objekt herausgeschnitten und dieses Erlebnis, wo die positive Form herausgekommen ist als neue und die negative Form zurückgeblieben ist, war der Moment, wo die variablen Objekte bei mir geboren sind.“ Damals habe er alles gesehen wie ein zerlegbares Objekt: „Beim Autofahren musste ich schon aufpassen, weil ich dann die Brücke oder das Haus vor mir zerlegt habe. Meine Tochter hat einmal geschrieben: ,Wenn man die Objekte meines Vaters betrachtet und man möchte sich vorstellen, was im Inneren der Plastik entsteht, bedarf das einer ordentlichen Portion Hirnakrobatik.´“ Am Schluss gestaltete er Modelle mit bis zu drei verschiebbaren Achsen. „Das war dann der bekannte Max-Würfel in Erodiertechnik mit Chromnickelstahl.“ Der Betrachter könne teilhaben an seinen Werken, selber variieren. Gsöllpointner übte auch Gesellschaftskritik mit seiner Kunst: „Meine bei der Ausstellung im Wiener MAK 2023 gezeigten acht Meter hohen Plastiken aus Styropor wurden anschließend aus Protest gegen krankhaftes Wachstum in der Gesellschaft, im Kapitalismus zerstört.“

Wegbereiter für Kunstuni

Der Direktor der Linzer Kunstschule, Alfons Ortner, fragte Gsöllpointner 1959, ob er nicht unterrichten möchte. „Das täte ich gern, aber ihr habt ja keine Werkstätten. Höchstens, es gelingt, dass die Studenten zu mir in die Voest kommen“, antwortete der junge Künstler ihm. Dort hätten die Studenten 60 Lehrmeister und den größten Maschinenpark, dann könnten sie alles machen. „So ist das damals entstanden. Das war natürlich ein Trumpf, diese Klasse in der größten Industrie zu haben. So sind wir dann nach zehn Jahren Hochschule geworden.“

Dass viele seiner Studenten heute selbst bekannte Künstler sind, bereitet ihm große Freude. Und noch immer pflegt er gern Kontakt zur „Hochofen-Bande“, wie es einer seiner Lieblingsstudenten, der Bühnenbildner Stefan Brandtmayr, einmal ausgedrückt hat. „Als Lehrer bin ich immer an der Uni präsent gewesen, habe meine Studenten an Aufträgen, die ich bekam, beteiligt“, erzählt er. Dafür veranstaltete er Wettbewerbe innerhalb der Meisterklasse, der Gewinner durfte seine Arbeit dann umsetzen. „Mit dem Geld dafür haben wir Studienreisen nach Mexiko, Anatolien oder New York unternommen.“

Nach Jahren als Leiter der Meisterklasse Metall wurde Gsöllpointner 1977 Rektor der Kunstuniversität. „Damals wollte ich die junge Kunstuni in der Welt vorstellen und hab´ die Ausstellung Forum Metall gemacht, dann 1980 Forum Design, Phänomen Schmuck und Netz Europa. Linz ist damit 1977 erstmals überregional in der Kunstszene in der Welt bekannt geworden.“

Vor ein paar Jahren hat Gsöll-pointner sein Atelier aufgegeben, nicht nur wegen seiner Familie, die gemeint habe, er solle endlich Ruhe geben, wie er lachend erzählt, auch seine mittlerweile stark eingeschränkte Sehfähigkeit zwang ihn dazu. Als Alfred Weidinger, künstlerischer Direktor der OÖ Landes-Kultur-GmbH, mit der Idee für eine Ausstellung zum 90er an ihn herantrat, knüpfte er seine Zustimmung an eine Bedingung: „Wenn sie von Raiffeisen die Sammlung mit 40 variablen Stahlobjekten kriegen, die immer nur im Allerheiligsten der Generaldirektion zu sehen waren und nie in der Öffentlichkeit, stimme ich zu.“

Alterswerk im Linzer Schloss

Für die Schau hat er auch wieder künstlerisch gearbeitet, sieben neue Plastiken, „Stabräume“ betitelt, geschaffen. „Ich habe mich selber gewundert, dass der blinde Alte mit 90 Jahren auf einmal so arbeitet.“

Von Melanie Wagenhofer