„Der Vorleser“, Roman (1995) von Bernhard Schlink, wurde millionenfach verkauft und in 50 Sprachen übersetzt. Als Kinofilm mit Kate Winslet und David Kross erhielt er 2008 neben Oscars unzählige Auszeichnungen. In der Regie von Cornelia Metschitzer feierte die dreiteilige Story als Bühnenversion am Donnerstag Premiere in der Tribüne Linz.
Über eine Distanz von etwa 25 Jahren, beginnend in den Nachkriegsjahren, blendet die Erzählung zurück zur ersten und lebenslänglichen Liebe eines Jünglings bis zum Tod der Geliebten vor dem Hintergrund der NS-Zeit aus einer Perspektive der 90er Jahre.
Der erste Akt des dreiteiligen Aufbaus berichtet von der wachsenden erotischen Beziehung des 15-jährigen Oberklassenschülers Michael Berg zur 21 Jahre älteren Hanna Schmitz bis zur totalen psychischen und körperlichen Abhängigkeit des Jungen.
Rudi Müllehner kommentiert als Ich-Erzähler aus einem Tagebuch, das Michael nach dem Tod der Geliebten verfasst. Friedrich Eidenberger als junger Michael Berg und Lisa Kröll als Hanna Schmitz steigen in die Handlung ein.
Michael liest Hanna aus seiner Schullektüre vor. Daraus entwickelt sich ein tägliches Ritual: „Vorlesen, duschen, lieben und noch ein bisschen beisammen liegen.“ Sie überhäuft ihn mit Zärtlichkeit, brüllt ihn aber auch unvermittelt an. Er lernt, für all ihre Befindlichkeiten die Schuld zu übernehmen.
Als Michael sich Gleichaltrigen zuwendet, verschwindet Hanna plötzlich. Er fühlt sich schuldig. Sein Gefühlsleben ist dauerhaft gestört.
Nach der Pause springt die Zeit acht Jahre vor, zugleich viele Jahre zurück. Michael, inzwischen Student der Rechtswissenschaften und Verfechter der Aufklärung von NS-Verbrechen, trifft unerwartet auf Hanna. Sie ist Hauptangeklagte in einem Naziprozess, überführt durch ein von ihr eigenhändig verfasstes Schriftstück. Nur Michael kennt ihr Geheimnis, dass sie Analphabetin ist, dies aber aus Scham nicht gesteht. Sie wird zu lebenslänglicher Haft verurteilt, schuldig am Flammentod gefangener Frauen, sowie an Selektionen von Opfern für die Gaskammern.
In einer berührenden Szene schlüpft Müllehner in die Figur seines tieftraurigen Vaters, der, selbst Philosoph, seinem Sohn nicht einmal eine abstrakte Lösung zum richtigen Handeln anbieten kann.
Nach wiederum acht Jahren schickt Michael vorgelesene Texte auf Kassetten an Hanna ins Gefängnis. Die Gepflogenheit hält er bei, bis zu Hannas geplanter Entlassung nach 18 Jahren.
Über Hannas Haltung zu Schuld diskutieren seither Generationen von Schülern, Lesern und Kinobesuchern.
Lisa Kröll gibt sie als warmherzige, aber undurchsichtige Frau, als Liebhaberin liebevoll gelassen mit einzelnen Wutausbrüchen, vor Gericht steht sie mit entsetzt starrenden Augen. Im pantomimischen Dialog mit dem Richter zeigt sie Emotionen, ihren Freitod geht sie fast verklärt an.
Ihr Selbstmord und als Draufgabe eine Spende an eine Überlebende ihrer Verbrechen, die posthum an einen Verein jüdischer Analphabeten weitergereicht wird, erscheint höhnisch und abstoßend kitschig. Nur gering entschärft, als das einstige Opfer einen solchen „Freikauf“ empört zurückweist.
Die Rollen der Erzähler und Darsteller wechseln, irritieren auch mal, als etwa Eidenberger zum Erzähler mutiert, während Müllehner in die Rolle des Liebhabers schlüpft.
Auch an der Gitarre umfängt Müllehner das Publikum mit wiederkehrenden „Sounds of Silence“ so innig wie weiland Simon und Garfunkel. Als Erzähler entfaltet er die ganze Kraft der Story von Verbrechen und Scham, von Verletzungen, Schuldgefühlen und Liebe.
Friedrich Eidenberger gefällt als erotisch erwachender Jüngling, wie als junger Jurist und später rastlos Suchender.
Das zweieinhalb Stunden (mit Pause) dauernde Stück, auf der wie immer spartanischen Bühne, weist einige Längen auf, doch überwiegt der Reiz am Gedankenspiel zum Schweigen einer Generation und um die Hilflosigkeit der Nachkommen, die ihre schuldbeladenen Vorfahren lieben. Langer Applaus!
Von Eva Hammer