Klimts „Medizin“ schillert nun am Gelände der Wiener Meduni

Klimts „Die Medizin“ in 12 mal 8 Metern auf dem Meduni Wien-Campus © APA/EVA MANHART

Gustav Klimts „Die Medizin“ nahm einen wenig glorreichen, vielmehr skandalumwobenen Weg: Ursprünglich als eines seiner Fakultätsgemälde für die Universität Wien angefertigt, angesichts vehementer öffentlicher Empörung nicht gezeigt und in Zeiten des NS-Regimes zerstört, fand es nie seine Bestimmung. Bis heute. Eine mit Künstlicher Intelligenz (KI) rekonstruierte Nachbildung ziert seit Mittwoch die Fassade des Anna-Spiegel-Forschungsgebäudes der Medizinischen Universität Wien.

Man muss schon wissen, wo man suchen muss: Im Herzen des Meduni Wien-Campus, in unmittelbarer Nähe zum Universitätsklinikum AKH und gegenüber dem Rohbau, wo künftig das „Center for Translational Medicine“ residieren soll, ist das für immer verloren geglaubte Gemälde in einer Größe von 12 mal 8 Metern nun in voller Farbpracht öffentlich sichtbar. Es schmückt ein Gebäude, welches vor allem Forschungsinfrastrukturen und Laboreinrichtungen beherbergt. Dass es hier in farblicher Pracht erscheint, wurde durch eine Zusammenarbeit des Belvederes mit „Google Arts & Culture“ möglich. Im Rahmen eines gemeinsamen Projektes, machte man sich vor einigen Jahren auf die Suche nach der ursprünglichen Farbigkeit der vor etwa 120 Jahren verschmähten und Mitte des vergangenen Jahrhunderts verbrannten Fakultätsbilder. Auf Basis eines eigens entwickelten Algorithmus und einer mit Daten aus Klimts Werken trainierten KI bzw. Ansätzen des maschinellen Lernens präsentiert man seit 2021 die Ergebnisse auf der digitalen Plattform „Klimt vs. Klimt“.

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Und jetzt auch als Kunst im öffentlichen Raum: Nun könne man ein Gefühl dafür bekommen, „wie es einmal ausgesehen haben muss“, meinte Markus Müller, Rektor der Meduni, bei der Enthüllung in Anwesenheit der versammelten Prominenz. Er verwies auf die vielfältigen Beziehungen und Kontakte, die Klimt zu Lebzeiten zur medizinischen Fakultät hatte, aber eben auch auf die „sicherlich unangenehmste Beziehung“ Klimts zur Universität Wien: die damals von einer Vielzahl an Professoren mitgetragene Abwehr seiner Fakultätsbilder für den Festsaal der Hochschule.

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) würdigte Klimt als großen Künstler der Moderne. Es erscheine heute und aus Sicht der Medizin wohl eher merkwürdig, dass damals die Werke nicht aufgehängt wurden: Es habe an politisch-konservativen Gründen gelegen, „nackte Menschen nicht zu zeigen“. Dass dies heute möglich sei, sei ein wunderbares, fortschrittliches Zeichen. Gleichzeitig würdigten Müller wie auch Ludwig die Möglichkeiten, die der Einsatz von KI für Kultur und Kunst bringen könne.

„Was das für eine unglaubliche Genugtuung für Klimt bedeuten würde, das Bild hier zu sehen.“ Der Skandal damals, so Belvedere-Chefin Stella Rollig, habe den Künstler „enorm verletzt“. Klimts um 1900 im Auftrag des k. u. k. Unterrichtsministeriums angefertigte, etwa vier mal drei Meter messende Gemälde erregten damals Widerstand von allen Seiten. Dieser wuchs sich letztlich zu einem der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts aus: Bei der „Medizin“ stieß man sich an der Nacktheit – das Bild thematisiert das Leiden der Menschheit, es zeigt entblößte Menschen, die die im unteren Teil groß dargestellten Hygieia, Göttin der Heilkunst, begleiten. Das Gemälde, erstmals öffentlich 1901 bei der Secessionsausstellung präsentiert, war gemeinsam mit den Werken „Die Philosophie“ und „Die Jurisprudenz“ eigentlich für die Decke des Festsaales der Universität Wien vorgesehen. „Die Theologie“ und das zentrale Mittelbild „Der Sieg des Lichts“ wurden von Franz Matsch beigesteuert.

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Als es zu der Empörung und Ablehnung von Klimts Bildensemble kam, habe der Künstler selbst und mit Hilfe von Mäzen die Werke zurückgekauft, so Rollig. „Die Medizin“ war ab 1919 im Besitz der „Österreichischen Galerie“. Die zwei anderen gingen an die Sammlerfamilie Lederer. Die nach dem „Anschluss“ Österreichs konfiszierte und „arisierte“ Sammlung Lederer – und alle drei Fakultätsbilder – landeten und lagerten dann fortan im unter den Nationalsozialisten als Kunstdepot genutzten Schloss Immendorf (NÖ), wo sie am 8. Mai 1945 durch einen gelegten Brand unter bis dato nicht geklärten Umständen zerstört wurden. „15 Werke von Gustav Klimt, darunter die für die Universität Wien geschaffenen skandalumwobenen Fakultätsbilder, verbrannten“, wie „Google Arts & Culture“ online ausführt.

„Die Fakultätsbilder sind eigentlich bis heute schockierend“, so Rollig. Man könne nachvollziehen, warum sie damals für so viel Anstoß sorgten, nämlich „weil sie ins Zentrum der Widersprüche des Leids und menschlicher Existenz ziehen“. Zugleich sprach die Generaldirektorin von einem Moment des Mahnens, der mit der Enthüllung der „Medizin“ einhergehe: Man solle sich vergegenwärtigen, dass auch heute, als Folge von Krieg, bedeutende Kunstwerke verloren gingen.

Aber besitzt das Fassadenbild nun jene Farbgebung, wie sie vom Künstler damals eingesetzt wurde? Von den Fakultätsbildern existierten nach ihrer Vernichtung nur noch Schwarz-Weiß-Aufnahmen – mit Ausnahme der „Medizin“. Von einem kleinen Ausschnitt dieses Bildes existiert eine Farbfotografie, sie zeigt Hygieia. „Wir haben nicht versucht, das Gemälde nachzumalen“, erzählte Franz Smola, Kurator am Belvedere und als Klimt-Experte in das KI-Projekt maßgeblich involviert, nach der Enthüllung. Vielmehr habe man eine historische Fotografie, die im Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek ist, koloriert. Es seien alle drei Klimt-Fakultätsbilder rekoloriert worden, aufgrund eines erhaltenen Farbentwurfs wie eben der Farbfotografie sei man bei der „Medizin“ „auf der sichersten Seite“.

Im Rahmen einer Ausstellung 2005 wurden Klimts Fakultätsbilder vom Leopold Museum mit der Universität Wien in Form von Schwarz-Weiß-Reproduktionen an der Decke des großen Festsaales der Uni angebracht. Nun zeigt sich „Die Medizin“ der Öffentlichkeit auf dem Meduni-Campus. „Klimt wäre begeistert gewesen“, meinte auch Smola. Denn er habe „Die Medizin“ eigentlich nicht im Rahmen des Bildensembles und in Konkurrenz zu Matschs Werken an der Decke des Festsaals gesehen, sondern vielmehr als „solitäres Kunstwerk, das für die Allgemeinheit da ist“. Das sei nun erreicht.

Plattform „Klimt vs. Klimt“ ➡️ Weitere Informationen , Meduni Wien zu Klimts „Medizin“: ➡️ Weitere Informationen ; Uni Wien zu Klimts Fakultätsbildern: ➡️ Weitere Informationen