Lehrbuch und Leistungsschau der Erika Gangl

Andrea Amort, Tanja Brandmayr und Gerlinde Roidinger widmen sich in „Erika Gangl und der Neue Tanz“ dem Leben der Linzer Tänzerin, Choreografin und Pädagogin

Auf diese Biografie haben wohl viele Kenner der Linzer Kunstszene gewartet. Erika Gangl, Tänzerin, Choreografin, Pädagogin, in Linz geboren 1939, verstorben 2000. Der 25. Todestag im Jahr 2025 ist nicht mehr weit weg, einer Tanzkünstlerin zu gedenken, deren Name unauslöschlich in die Linzer Geschichtsbücher der Musik über die moderne Tanzentwicklung ihrer Zeit eingehen wird.

Drei fachkundige Künstlerinnen haben in mühevoller Arbeit – wobei die Recherchen durch den ungeordneten Nachlass erschwert waren – das Leben von Erika Gangl unter dem Titel „Erika Gangl und der Neue Tanz“ (230 S., € 45) herausgegeben und für die Publikation den Wiener Hollitzer Verlag gewonnen: die promovierte Gangl-Schülerin und Begleiterin der Wiener Tanzszene als Kritikerin, Dramaturgin und Kuratorin sowie Tanzhistorikerin Andrea Amort, Tanja Brandmayr, Kuratorin, Redakteurin, Autorin und ebenfalls Gangl-Schülerin und Gerlinde Roidinger, Tänzerin, Performerin und Kunstvermittlerin mit Schwerpunkt im ländlichen Raum.

Viel mehr als ein Lebensbericht

Die Biografie der Erika Gangl ist viel mehr, als man sich einen Lebensbericht in herkömmlicher Art vorstellt. Eine „kritische Würdigung“ nennen das Werk die Herausgeberinnen. Aber auch mit dieser Bezeichnung wird man der Publikation nicht gerecht. So vielseitig das Leben der Tanzkünstlerin verlief, die ihre Kunst weniger als eine Selbstdarstellung präsentierte als vielmehr das Einmalige in ihrer Persönlichkeit spontan wirkte, so aufregend und facettenreich wird der Leser den Beschreibungen, Stationen von Seite zur Seite folgen.

Viel künstlerisches Blut floss in den Adern der Erika Gangl, der Urgrossnichte von Franz Liszt, die dann auch noch einen Komponisten-Musiker in der Gestalt von Alfred Peschek vom Schicksal zum Lebenspartner und Ehegatten geschenkt bekam. Ohne Musik kein Tanz, ohne Tanz keine Musik. Das Ideal einer Verbindung, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht und die gegenseitig bereichernden Momente im Leben festhält. Eigentlich vom ersten Tag ihres Zusammentreffens.

228 Seiten stark wurde die nicht umsonst kostenschwere und entsprechend attraktiv gestaltete Bilddokumentation, ein umfangreicher Band reichlich mit Aufnahmen bestückt und chronologisch in Abschnitte geteilt, beginnend mit dem noch bescheidenen Tanzstudio in der Linzer Karl-Wiser-Straße 1965, übersiedelt in das Bergtheater in der Bockgasse, wohin Erika Gangl, stets um Ausbau und Erweiterung bemüht, international bekannten Lehrern ein Podium gab und ein kontinuierlich tätiges Ensemble für Gastspiele im Ausland mit dem Repertoire spezifisch zeitgenössischer Musik heranbildete.

Erstes freies Tanzensemble Österreichs

So entstand nach dem Zweiten Weltkrieg das erste freie Tanzensemble Österreichs. Und das noch vor Wien in einer Umbruchszeit, als moderner Zeitgenössischer Tanz in Europa erst langsam zu wirken begann und eine fachgerechte Beachtung noch auf sich warten ließ.

Je weiter man in die Materie des Buches eindringt, umso klarer wird einem, dass man ein Kompendium in Händen hält. Ein Lehrbuch und über eine Leistungsschau der Erika Gangl hinaus der Nachwelt als eine Anleitung hilfreich, was Tanz als künstlerische Sprache der Seele an Vollkommenheit den Auserwählten abverlangt.

Erika Gangl war eine von jenen Schülerinnen der tänzerischen Elevenklasse, die nach dem Linzer Bruckner Konservatorium zur weltberühmten Rosalia Chladek (1905-1995) finden durften, die für drei Jahre ihre Mentorin wurde und sie menschlich formte. Auch diese Ausstrahlung ist spürbar aus dem Druckwerk.

Erika Gangls Schaffen in seiner Gesamtheit zu erfassen, war das Buch bemüht, ermöglichte es jedoch kaum. Es seien daher nur einige wichtige Titel zum Lesen empfohlen. „Wegbereiterin in der integrativen Tanzpädagogik“, die Selbstdarstellung Alfred Pescheks „Ich über mich“, „Die Tänzerin in Schwarz und der zornige junge Mann aus Linz und Umgebung“ – ein Duo der Linzer Avantgarde.

„Experimentelles Laboratorium“ – die Salon-Jahre 1973-1976, „Die verblassten Spuren“ – Radio-Interview im ORF von Irene Suchy, „Blick auf eine radikale Künstlerin und Pädagogin“ – Tanz als Poetik des Archaischen, „Erdenklang“ – das computergesteuerte Tanz Theater – ein großer Erfolg durch die Ars Electronica gemeinsam mit Peschek aus 1982, der für Erika Gangl mit 43 Jahren besondere Bedeutung erlangte, weil sie sich mit ihrer Inszenierung und Choreografie des Werkes in die internationale Festival-Geschichte einschrieb.

Weitere Beiträge verdienen Aufmerksamkeit: „Wie mich das Tanzstudio prägte“, „Fantastischer Körperschatz“, „Üben mit Disziplin“, „Ein weltoffener Geist“, die „Künstlerin   in sich entdecken“ oder „Ein Überblick über Fragen an sieben Tanzschaffende widmet sich dem zeitgenössischen Tanz im Wandel und seine Sichtbarkeit in Linz“. Gerade deshalb wird die erlebte Linzerische Tanzhochburg à la Gangl nicht genug zu würdigen sein und unvergessen bleiben.

Gründlich-wertvolles Porträtbuch

Ordnungsgemäß beschließen das gründlich-wertvolle Porträtbuch ein Personenregister, eine Auflistung von Werken, Reihen, Festivals, Kurzbiografien, die Chronologie des Tanzstudios und ein Lehrplan der Ausbildung 1976-1996.

Die allerletzte Buchseite freut den Leser ganz besonders. Ein Zeitungsausschnitt als pädagogisches Credo auf der Mappe von Erika Gangls Mitschrift „Tanztheorie“ aus ihrer Wiener Studienzeit in den späten 1950er-Jahren.

Von Georgina Szeless

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