Leidenschaft, die heißer brennt als Gula schsaft

Operette am Musiktheater: „ Gräfin Mariza“ von Emmerich Kálmán, Regie Thomas E nzinger

Gleich zu Beginn schmilzt eine Geige weg. „Diese Zigeuner da, die sollen musizieren.“ Die Inszenierung pfeift auf das Z-Wort, erklärt das auch ausführlich im Programmheft. Bei der Uraufführung von „Gräfin Mariza“ 1924 war Komponist Emmerich Kálmán (1882-1953) bereits dies- und jenseits des Atlantiks berühmt. Am Linzer Musiktheater berauschte am Samstag die Csárdás- und walzerselige Operette in einer Inszenierung von Thomas Enzinger. Am Rande der Bühne verliert sich unauffällig ein kleines Mädchen in einem Bilderbuch. Rahmen und Einladung, sich unbefangen wie ein Kind dem Zauber hinzugeben.

Ungarischer Schwermut und zuckersüßer Walzer

Eine riesige Taube gleitet im Dreivierteltakt durch die Lüfte, Schmetterlinge flattern im Rhythmus ungarischer Schwermut und zuckersüßer Walzer. „Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen im schönen Wien“, bei aller Innigkeit hält Graf Tassilo Endrödy Wittenburg alias Matjaz Stopinsek seinen Tenor frei von triefendem Schmelz. In ein Meer aus schönen, pastellfarbenen Menschen rollt die rotgelockte Mariza in einer Luxuslimousine der 20er-Jahre im blitzgrünen Hosenanzug.

„Höre ich Zigeunerweisen“. Das Bruckner Orchester mit Dirigent Marc Reibel übernimmt temperamentvoll, schwelgt in Walzern, treibt zum scharfkantigen Csardas, macht Mulatschak zum Charleston, rhythmisch dynamisch, wie es Kálmáns Musik braucht. Als Sologeiger auf der Bühne kitzelt Sorin Stefan die Sinne, wenn er gerade noch hörbar „Komm Zigan“ fleht.

Zwischen Glamour und Bankrott, Liebe und Status spielt Emmerich Kálmáns größter Operetten-Erfolg. Um alle Verehrer, die bloß ihr Vermögen begehren, abzuwimmeln, gibt Mariza ihre Verlobung mit einem erfundenen Baron Zsupán bekannt. Als dieser tatsächlich auftaucht, hat sie sich schon in Tassilo, ihren Verwalter, verliebt. Der insolvente Graf dient unter einem Pseudonym auf ihrem Gut, um die Aussteuer für seine Schwester Lisa zu beschaffen. Mühelos überstrahlt Fenja Lukas´ Stimme den großartigen Chor, verliebt sich dabei in Baron Zsupán, der sich wiederum als Schauspieler outet. Turbulenzen, soweit das Auge reicht, bis als Dea ex Machina die reiche Tante Fürstin Cuddenstein alle, einschließlich sich selbst, ins ultimative Glück führt. April Hailer gibt im Doppel mit Markus Raab ein perfekt komisches Paar.

Da passt wirklich alles zusammen

Alles Walzer. Es dreht sich die Bühne, Zirkusfiguren schweben, in allen Farben schillern menschliche Seifenblasen. „Bin ich gärrne Missvarrständnis“, Baron Zsupán, wie das Ensemble insgesamt, bemüht nur wenig das ungarische Idiom. Komödiant Jonathan Hartzendorf räumt kraft seiner Bühnenpräsenz die Lacher ab. Die rot-weiß- grüne Welt — „Komm mit nach Varazdin“ — mündet in Percussion mit Fässern, Blechdeckeln und Mistgabeln. In fantastischen Kreationen toben sich Götz Lanzelot Fischer (Kostüme) und Bernd Franke (Bühne) aus. Die Homogenität aus Choreografie, Bühne, Musik und Kostümen bezaubert. Komik und Überraschungen im Minutentakt.

Samtweich verführt der Operettentenor bis zum betörenden Fortissimo und zurück. Carina Tybjerg Madsen als Gräfin Mariza erwidert mit heiter schwebender, doch kräftiger Stimme. Die beiden verschmelzen im Liebesduett. „Sag Ja, mein Lieb, sag Ja“. Antrag angenommen! „Ja“ zu dieser Operette. Und ja, diese Mariza ist auch heutiges Theater. Wie damals steht das Vergessen einer Welt, die große Umbrüche vor sich hat, mit auf dem Spielplan. Das Abtauchen in einen Vollrausch, in Gefühle, die der Witz vor Kitsch bewahrt. Enzingers Einladung bedingungslos anzunehmen lohnt sich! Viel Zwischenapplaus, sehr großer Jubel am Schluss.

Von Eva Hammer

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