Er drehte Musikvideos für Rammstein und Madonna, Spielfilme wie „Nordwand“ oder „Schachnovelle“ und inszenierte Opern wie zuletzt den „Freischütz“ in Bregenz. In den vergangenen Jahren kehrte der gelernte Bühnenbildner Philipp Stölzl ans Sprechtheater zurück. Mit Molnárs „Liliom“ gibt er nun am 6. Dezember sein Burg-Debüt. Mit der APA sprach er über seinen „verschlungenen Berufsweg“, warum ihn „Liliom“ an eine griechische Tragödie erinnert, und wohin es ihn künftig zieht.
APA: Sie haben erst vor wenigen Jahren begonnen, neben Ihrer Karriere als Film- und Opernregisseur auch am Sprechtheater Regie zu führen. Wie kam es dazu?
Philipp Stölzl: Ich habe einen recht verschlungenen Berufsweg. Ich hab ganz jung am Schauspiel als Bühnenbildner angefangen, bin dann mit Ende Zwanzig ganz weg von der Bühne und habe zuerst Musikvideos gemacht und bin von dort ins Kino gerutscht. Dann hab ich, ehrlicherweise mehr aus Spaß, eine Opernproduktion in der tiefsten ostdeutschen Provinz gemacht, und daraus hat sich dann überraschenderweise so etwas wie ein „Zweitberuf“ als Musiktheatermacher entwickelt. In den letzten Jahren habe ich aber angefangen, die Arbeit mit dem Schauspiel immer mehr zu vermissen, weil es sowohl beim Kino als auch im Musiktheater gar nicht so in dieser Intensität stattfinden kann.
In der Oper ist ja alles an Gefühlszuständen in der Regel einkomponiert. Das Graben nach seelischen Tiefen hat da einfach seine natürlichen Grenzen bei der Probenarbeit, auch weil die Sänger sich mit aller Kraft auf ihre „Hochleistungskunst“ konzentrieren müssen. Und beim Kino ist der ganze Vorgang so technisch, dass man am Set immer nur diese Minizeitfenster mit den Schauspielenden hat, die einen eigentlich immer ein bisschen hungrig zurücklassen. Aber beim Schauspiel auf einer Bühne hat man diese tollen sieben, acht Wochen, wo man wirklich mit den Spielenden zusammen Zeit verbringt und sich um Charaktere und Menschen kümmern, sie entdecken und gestalten kann. Und in der Begegnung mit jedem Text – wenn er denn gut ist und viel an Schichtungen zu bieten hat – erfährt man auch immer etwas über sich selbst.
APA: Stand in dem Zusammenhang „Liliom“ immer schon auf Ihrer Wunschliste?
Stölzl: Ich habe in den letzten Jahren am Theater für mich herausgefunden, dass mich die leibhaftigen Menschenbilder, das genaue und ganz klassische Erzählen in Figurenbögen besonders interessiert. Was man mit den Leuten fühlt, im guten und im negativen Sinne. Das Formale interessiert mich am Theater lustigerweise am Allerwenigsten, obwohl ich im Musiktheater sehr visuell und über Bilder arbeite. Und „Liliom“ ist einfach ein sehr toll geschichtetes Stück. Nicht nur diese irre Liliom-Figur, sondern eben auch alle anderen Charaktere sind unheimlich kraftvoll geschrieben und bergen tiefe Abgründe und auch große Sehnsüchte. Das Stück spielt ja nur scheinbar in diesem Lowlife-Schausteller-Karussell-Suffmilieu. Eigentlich sind diese Figuren riesengroß wie in einer griechischen Tragödie.
APA: „Liliom“ stand hier am Burgtheater zuletzt vor rund zehn Jahren mit Nicholas Ofczarek in der Titelrolle auf dem Spielplan …
Stölzl: …. das ist natürlich eine gewisse Hypothek, dass so viele große Schauspieler diese Rolle schon gespielt haben. Aber es gibt, glaube ich, ganz gute Gründe, das Stück nochmal neu zu denken und es darauf abzuklopfen, was es für das Heute erzählt. Liliom ist ja eine missbräuchliche Hauptfigur, die bei Molnár zwar auch schon ziemlich schattiert und ambivalent daherkommt. Aber Molnár geht mit diesem Charakter verhältnismäßig wohlmeinend um, schickt ihn nach seinem Tod in einen etwas märchenhaften Himmel, wo er sogar eine zweite Chance bekommt.
Da ist immer so ein Unterton, dass man sich sagt: „Naja, dem rutscht halt die Hand aus, aber er ist eigentlich ein attraktiver Strizzi, irgendwie sexy in seinem Chauvinismus.“ Ein bisschen sieht man ihm sein Verhalten nach. Ich glaube aber, dass wir heute auf toxische Beziehungen und missbräuchliche Leute anders schauen. Unsere Toleranzgrenze dafür ist jetzt einfach deutlich geringer. Wir haben das Stück deshalb von seiner Praternostalgie und der Moritaten-Drehorgel entschlackt, und untersucht, was da an Drama, an seelischer Kaputtheit und auch Liebes- und Lebenssehnsüchten alles aufeinander prallt, versucht, wirklich tief in die Figuren einzutauchen und sie als gegenwärtige, komplexe Charaktere zu erzählen.
APA: Welche Rolle spielt es dabei, dass Stefanie Reinsperger den Liliom spielt?
Stölzl: Ich glaube gar keine. Es ist für mich wirklich einer der schönsten Beweise für das Theater als Fantasieraum, wo eben alles möglich ist, wo man sich alles vorstellen kann. Dass Steffi einen Mann spielt, darüber denkt man wenn überhaupt zwei Sekunden nach und dann ist es vorbei. Es ist nichts, was einen beim Zugucken beschäftigt.
APA: Cross-Gender-Besetzungen sind in dieser Spielzeit überhaupt stark vertreten.
Stölzl: Ich finde es richtig, dass wir das Theater in dieser Hinsicht neu denken. Überhaupt ist die Film- und Theaterwelt in allen Gewerken soviel „weiblicher“ geworden, seit ich angefangen habe. Der Kunst und der Welt tut das total gut.
APA: An der Oper setzen Sie gern auf Opulenz. In welchem Raum spielt Ihre „Liliom“-Inszenierung?
Stölzl: Unser Stück spielt in einer minimalistisch erzählten Peripherie, weil all diese Menschen, um die es da geht, nicht nur am Rand der Stadt, sondern auch am Rand der Gesellschaft leben. Also haben wir so eine Art Gstettn aus Gras erdacht, auf die Leute in ihrer Verlorenheit zu begreifen sind. Diese Konzentration hilft auch, diesem intimen Kammerspiel in einem großen Raum wie dem Burgtheater den notwendigen Fokus und Figurenpräsenz zu geben.
APA: Wie funktioniert das im Himmel?
Stölzl: Diesen katholischen Molnár-Himmel mit ewigem Licht und Fegefeuer gibt es bei uns nicht, wir lesen das Stück als Realismus, in dem es keine derartige Erlösung oder Gelegenheit zur Reue gibt. Es gibt bei uns sowas wie einen abstrakten Jenseitsbegriff – und zwei mittelgut gelaunte Engel.
APA: Fokussieren Sie nach der Premiere wieder mehr auf den Film, auf die Oper oder doch auf das Theater?
Stölzl: Ich werde mich in den nächsten Jahren tatsächlich mehr aufs Theater konzentrieren, weil es mich als Künstler sehr erfüllt. Aber die Oper und das Kino wird’s sicher auch noch geben, vielleicht etwas zurückgenommener. Ich habe gerade eine Fortsetzung von „Der Medicus“ gedreht, die muss ich nächstes Jahr erstmal fertig machen.
(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)
„Liliom“ von Ferenc Molnár im Burgtheater, Deutsch von Terézia Mora. Premiere am 6. Dezember, 19.30 Uhr. Regie und Bühne: Philipp Stölzl, Kostüme: Kathi Maurer, Licht: Michael Hofer, Musik: Ingo Ludwig Frenzel. Mit u.a. Stefanie Reinsperger, Norman Hacker, Tilman Tuppy, Maresi Riegner, Zeynep Buraç und Stefko Hanushevsky. Nächste Termine: 8., 18. und 25. Dezember sowie am 12., 18. und 24. Jänner. burgtheater.at