Literaturnobelpreis geht an Südkoreanerin Han Kang

Der Literaturnobelpreis 2024 geht an die Südkoreanerin Han Kang. Die 53-Jährige ist die erste Frau unter den bisher verkündeten Nobelpreisträgern dieses Jahres, die erste Autorin aus ihrem Land und gleichzeitig die 18. Frau, die mit der prestigeträchtigsten Auszeichnung der Literaturwelt ausgezeichnet wird. Der Preis ist heuer mit elf Millionen Schwedischen Kronen (970.000 Euro) dotiert und wird traditionell am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Han Kang wird „für ihre intensive poetische Prosa, die sich mit historischen Traumata auseinandersetzt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt“, ausgezeichnet, heißt es in der Begründung der Schwedischen Akademie. „Sie hat ein einzigartiges Gespür für die Verbindungen zwischen Körper und Seele, Lebenden und Toten und ist mit ihrem poetischen und experimentellen Stil zu einer Innovatorin der zeitgenössischen Prosa geworden.“ Erneut gingen damit die Favoriten der Buchmacher, die Chinesin Can Xue und der Australier Gerald Murnane, leer aus.

Han Kang habe gerade mit ihrem Sohn abendgegessen, als er sie telefonisch zu Hause in Seoul erreicht habe, berichtete der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Preisbekanntgabe am Donnerstag in der Altstadt von Stockholm. „Sie war auf das hier nicht wirklich vorbereitet“, sagte er. Man freue sich sehr, sie im Dezember bei der Preisverleihung in Stockholm begrüßen zu dürfen. „Han Kangs körperliche Empathie für die verletzlichen, oft weiblichen Leben ist spürbar und wird durch ihre metaphorisch aufgeladene Prosa verstärkt“, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees für Literatur, Anders Olsson, bei der Bekanntgabe. Sie verfüge über ein einzigartiges Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele sowie den Lebenden und den Toten. „Mit ihrem poetischen und experimentellen Stil ist sie zu einer Innovatorin der zeitgenössischen Prosa geworden“, so Olsson.

Han Kang wurde am 27. November 1970 in der südkoreanischen Provinzhauptstadt Gwangju geboren. Sie wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, ihre Jugend war geprägt von etlichen Umzügen und Schulwechseln. Ab ihrem elften Lebensjahr lebte sie in Seoul. Die einzige Konstante in jener Zeit, erzählt sie später in Interviews, waren die Bücher. Ihr Vater Han Seung-won ist ebenfalls Autor. Tagsüber unterrichtete er als Lehrer, abends saß er laut Han bis tief in die Nacht vor seiner Schreibmaschine.

In Seoul besuchte Han Kang die renommierte Yonsei Universität, wo sie koreanische Literatur studierte. Erste Gedichtpublikationen folgten Anfang der 90er-Jahre, später wandte sie sich der Prosa zu. Zehn Jahre unterrichtete sie Kreatives Schreiben am Seoul Institute of the Arts, seither lebt sie als freie Schriftstellerin in der südkoreanischen Hauptstadt. Mit der englischen Übersetzung ihres im Original 2007 erschienenen abgründigen Debütromans „Die Vegetarierin“ gewann sie 2016 den Man Booker International Prize. Für die Jury war es ein „bewegender und suggestiver“ Roman, der „durch die Tiefe seiner Fremdartigkeit überrascht“. Aus der zunächst skizzierten Biografie einer „völlig unscheinbaren“ Frau, die sich entschließt, Vegetarierin zu werden, wird in dem später auch verfilmten Roman eine schillernde Geschichte voller Abgründe und Leidenschaften, bei der die Verweigerung gesellschaftlicher oder gesundheitlicher Normen der glatten Oberfläche einer strikt konformen Gesellschaft einen tiefen Riss zufügt. Das in viele Sprachen übersetzte und auch verfilmte Buch wurde ihr internationaler Durchbruch. Am 9. Mai 2025 wird eine Dramatisierung in der Inszenierung von Marie Schleef im Wiener Akademietheater Premiere haben.

In ihrem Roman „Menschenwerk“ (2017 auf Deutsch erschienen) beschäftigte sich die Südkoreanerin mit einem Studentenaufstand des Jahres 1980, der vom damaligen Militärregime mit unfassbarer Gewalt beantwortet wurde. Im Roman „Deine kalten Hände“ (auf Deutsch 2019) ging es um Frauen, die eine Essstörung haben, um patriarchale Machtverhältnisse und den männlichen Blick auf den weiblichen Körper. 2020 erschien ihr Buch „Weiß“ auf Deutsch, in dem sie in poetischen Verdichtungen und Reflexionen ihre unmittelbar nach der Geburt gestorbene, nie gekannte Schwester betrauerte. Zuletzt erschien in diesem Jahr ihr Roman „Griechischstunden“ auf Deutsch, in dem sie die Geschichte zweier gewöhnlicher Menschen erzählt, die sich in einem Moment privater Angst begegnen.

Ende der Nullerjahre hatte Han mit einer Schreibblockade zu kämpfen, die sie wie aus dem Nichts ereilte, und die sie nur mit meditativer Geduld überwinden konnte. Dennoch sagt sie über ihre Existenz als Schriftstellerin: „Schreiben ist auch mein Glück“.

In ihrem Heimatland, wo sie neben anderen Literaturpreisen 1999 den Korean Novel Award gewinnen konnte, gilt Han Kang bereits seit Jahren als am meisten gelesene Autorin. Dennoch brach am Donnerstag nach Bekanntgabe des Preises die Webseite von Südkoreas führendem Buchhändler kurzzeitig zusammen. Die Buchhandelskette „Kyobo Book Centre“ in Seoul hatte nicht genügend Exemplare der Autorin auf Lager, da man nicht mit ihrem Gewinn gerechnet habe, sagte ein Mitarbeiter.

Auch in Deutschland werden wohl weitere Auflagen ihrer bisher fünf auf Deutsch übersetzten Werke gedruckt werden. Der Aufbau Verlag in Berlin zeigte sich jedenfalls „überglücklich“ über die Auszeichnung der Autorin. Sie sei „eine der kraftvollsten und eigenständigsten Stimmen der Weltliteratur“, sagte die Leiterin der Literaturabteilung, Friederike Schilbach, der Deutschen Presse-Agentur. „Es gelingt ihr, die gewaltigsten Themen durch ihre poetische Sprache erzählbar zu machen. Das Zärtliche verbindet sie mit dem Revolutionären und schafft so Literatur, die nur sie so schreiben kann.“

nobelprize.org

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