Der gefeuerte Brucknerhaus- und LIVA-Chef Dietmar Kerschbaum hat sich mit einem Konzept für diesen Job beworben, für das er, wie er selbst auswies, nicht das alleinige Copyright hatte. Das haben Recherchen des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Meinhard Lukas zutage gefördert. Ex-Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) habe demnach eine – bisher medial unbekannte – Whistleblower-Meldung ignoriert. Das Rechtsgutachten zur Weitergabe der Hearingfragen kostete fast 16.000 Euro.
Heuer im März waren via „Falter“ massive Compliance-Vorwürfe gegen den damaligen LIVA-Chef (Linzer Veranstaltungsgesellschaft) Kerschbaum öffentlich geworden sowie, dass seine Bestellung wohl geschoben gewesen sei. Luger zeigte sich empört ob der Compliancevorwürfe, rückte von Kerschbaum ab und im Juli folgte die Entlassung des Intendanten. Dass Kerschbaum die Hearingfragen vorab „anonym“ zugespielt bekam, sei ihm aus einer Whistleblowermeldung bekannt gewesen und er habe dazu ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, so der Stadtchef damals. Fazit damals: Die Quelle des Leaks lasse sich nicht mehr feststellen. Den „Oberösterreichischen Nachrichten“ im August zugespielte Chats belegten dann, dass Luger selbst die Fragen weitergeleitet hatte. Der Stadtchef trat zurück. Die Staatsanwaltschaft Linz ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue.
Soweit, so bekannt. Am Freitag hat Lukas nun einen ersten Zwischenbericht zur Aufarbeitung der Causa vorgelegt und dieser birgt einige brisante Neuigkeiten – etwa, dass nicht nur eine, sondern zwei Whistleblower-Meldungen im November eingingen: neben jener zum Hearing auch eine bezüglich der Complianceverstöße. Letztere ließ Luger aber versanden, obwohl der Informant die Vorwürfe mit Dokumenten belegte, und zudem gesetzlich Anspruch auf Antwort hat. Bei den Compliance-Vorwürfen geht es u.a. um In-Sich-Geschäfte, Nebenbeschäftigungen, Vergabevorgänge, Spesen- und Reiseabrechnungen. Der Whistleblowermeldung waren Verträge zu den Sänger-Engagements Kerschbaums und seiner Gattin angeschlossen gewesen. Lukas wundert sich, dass auch das Kontrollamt, das die Causa Hearingfragen prüfte, sich offenbar nicht die Whistleblowermeldung dazu besorgt hatte, denn dann wäre man auch auf die zweite Meldung gestoßen.
Um den Dienstvertrag Kerschbaums rankten sich bisher viele Rätsel. Außer Luger, der Gesellschaftervertreter und Vorsitzender des Kontrollgremiums Aufsichtsrat in wenig transparenzfördernder Personalunion war, soll ihn kaum jemand zu Gesicht bekommen haben. Was der Intendant verdient hat, wird aus Datenschutzgründen auch weiter nicht veröffentlicht, allerdings bekam er – Wertanpassung eingerechnet – brutto um 22 Prozent mehr als sein Vorgänger Hans Joachim Frey. Und: „Alle Mitglieder im Aufsichtsrat wussten um die Höhe des Gehalts“, so Lukas. Bei der Verlängerung des Vertrags 2022 wurde um weitere zwölf Prozent aufgestockt. Zudem wurden Kerschbaum nicht nur die Intendanz des „jOpera“-Festivals in Jennersdorf sowie Engagements als Sänger genehmigt, sondern auch seine eigene Eventmanagementfirma – letzteres dürfte der Aufsichtsrat aber nicht gewusst haben.
Durchleuchtet wurde auch der Bestellungsprozess: Der LIVA-Chefposten war am 26. November 2016 ausgeschrieben worden. Luger und Kerschbaum haben sich aber bereits wesentlich früher darüber ausgetauscht, zeigen ihre von den „OÖN“ veröffentlichten Chats: Ende August 2016 hatte Luger Kerschbaum „vertraulich“ informiert, dass neu besetzt werde. Anfang Oktober bedankte sich Kerschbaum beim Stadtchef für ein „Paket“, das er sich ansehen werde – der Verdacht liegt nahe, dass es sich dabei um Unterlagen zur LIVA gehandelt hat, denn das von Kerschbaum eingereichte Konzept „war sehr kundig, was die Zahlen des Hauses betrifft“. All das trug sich vor dem Datum der Ausschreibung zu.
Lukas förderte allerdings einen weiteren bemerkenswerten Aspekt zutage: Das detaillierte Konzept, das Kerschbaum bei seiner Bewerbung präsentierte, trug auf allen Seiten den Vermerk „Copyright Dietmar Kerschbaum et al.“ (et alia/„und andere“, Anm.) und seine Programmplanung am Ende sogar „unübersehbar“ den ausführlichen Hinweis, dass das Programm von jemand anderem – einem später unter Kerschbaum angestellten Dramaturgen – erstellt wurde und ohne Genehmigung dieser Person nicht umgesetzt werden dürfe. „Das gilt insbesondere für eine Umsetzung der Konzeption(en) durch das Brucknerhaus“, wird explizit festgehalten. „Das ist niemandem aufgefallen in der Hearingkommission“, auch nicht dem Personalberater, wundert sich Lukas.
Dass Kerschbaum ein Team mitbringen wollte, haben laut Lukas LIVA-intern mehrere Personen bestätigt. Als Luger in einer Aufsichtsratssitzung darauf angesprochen wurde, verwies er auf Stellenpläne und betonte, dass es kein zusätzliches Personalbudget gebe. Dennoch wurden im April 2017 zwei Leute ohne Ausschreibung neu angestellt – darunter auch der Copyright-Inhaber des „Kerschbaum et al.“-Konzeptes, das in den Folgejahren auch weitgehend umgesetzt worden sein dürfte.
Für den Posten des LIVA-Chefs haben sich insgesamt 43 Personen beworben. Eine Vorauswahlkommission hat diese Liste auf acht eingedampft. Durchaus namhafte Bewerber sollen dabei nicht zum Zug gekommen sein. Die Vorauswahlkommission bestand aus vier Personen – je eine aus dem Haushalts- und aus dem Beteiligungsmanagement, aus der Kulturdirektion und von einem im Kulturbereich nicht erfahrenen Personalberater. In der Kommission für die Endauswahl saßen neben Vertretern der Parteien, der Stadt und des Personalberaters auch drei externe Kultur-Experten – allerdings griff Luger bei der Auswahl dieser Personen nur in einem Fall (Reinhard Kannonier) auf die Vorschläge der Finanzdirektion zurück, bei den Kommissionsmitgliedern Peter Androsch und Brigitte Fassbaender nicht.
Eine besondere Posse rankt sich um das Rechtsgutachten, dass die durchgestochenen Hearingfragen betrifft: Obwohl Luger selbst die undichte Stelle war, behauptete er stets, Kerschbaum habe die Fragen von „unbekannter Seite“ bekommen und gab sogar ein Rechtsgutachten – Kostenpunkt 15.884,29 Euro (netto) – zu dem Thema in Auftrag. Zwar lag ein Entwurf des Gutachtens bereits im Jänner 2023 vor, die endgültige Ausfertigung erfolgte aber erst einen Tag, nachdem der „Falter“ bei Luger in der Causa angefragt hatte.
In dem Papier heißt es explizit, dass man den Absender nicht feststellen konnte, auch das Kontrollamt hatte das zuvor nicht können. Dass der Absender gar nicht so „unbekannt“ war, wurde erst durch die geleakten Chats im August publik. Dabei hätte es bereits wesentlich früher Anhaltspunkte gegeben, die offenbar niemand sehen wollte: Bereits in der Whistleblower-Meldung fand sich die an Kerschbaum weitergeleitete Datei mit der Fragenliste – und darauf ist ein handschriftlicher Vermerk, der durchaus als Ansatzpunkt für eine Recherche zur Person des Versenders geboten hätte.
Seitens der politischen Parteien gab es für Lukas Anerkennung: Er habe „unter Beweis gestellt, dass mit Intensität an der Aufklärung gearbeitet wird“, so SPÖ-Fraktionsvorsitzender Stefan Giegler.„Zur Klärung der politischen Verantwortung müssen die Erkenntnisse jetzt rasch im Kontrollausschuss behandelt werden“, verlangt ÖVP-Gemeinderat Michael Obrovsky. Kontrollausschussvorsitzender Georg Redlhammer (Neos) bezeichnete den neuen Aufsichtsratschef als „Brucknerhaus-Columbo“, der dem Ausschuss Antworten auf viele Fragen liefere und Verbindungen herstelle, „die wir nicht gefragt haben“.