„Mâine Mă Duc“: Ein halbes zweites Leben als Pflegerin

Doku von Pichler und Schöffel über die Rumänin Maria und den Zwiespalt zwischen Pflegen in Österreich, um die Familie zuhause und den Traum vom besseren Leben

„Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave“ – klingt melancholisch wie der Beginn einer Reise. Und ist es auch, aber eine im Sinne der Arbeitsmigration. Maria Lisa Pichler und Lukas Schöffel haben die eindringliche Geschichte der rumänischen 24-Stunden-Pflegerin Maria und ihrer Familie gestaltet. Die Lücke, die Maria zu Hause wegen ihres Jobs in Österreich hinterlässt, setzt ihr zu. Dennoch, gibt es eine Alternative?

Zweitägige Fahrt

Frühmorgens steigt Maria in ihr Auto, um ihr heimatliches Dorf im Kreis Mureș in Siebenbürgen, also in Zentralrumänien zu verlassen und sich auf die zweitägige Fahrt nach Österreich zu begeben.

Sie pflegt dort eine alte Dame, versteht sich mit ihr und deren Hündchen gut, genießt mit beiden in einer Pause die wärmenden Sonnenstrahlen. Schön, soweit. Das scheinbare Pflegeidyll nimmt aber nur einen kleinen Raum in der 75-minütigen Doku in den Originalsprachen mit Untertiteln ein.

Den Hauptteil bildet die Lücke daheim, die Maria wegen ihrer einmonatigen Arbeit in Österreich hinterlässt – bei Ehemann Daniel, den Söhnen Gabi und Ion und den Großeltern. Ein Monat Arbeit, ein Monat in Rumänien, der Takt der 24-Stunden-Pflegekräfte. Klingt gut? Vielleicht, wenn zu Hause nicht auch jede Menge Maloche warten würde.

Hartes Leben in entvölkerten Dörfern

Das Leben in den teils entvölkerten Dörfern ist hart und weit weg von ländlicher Idylle. Als Maria losfährt, erzählt sie, auf die Häuser im Dorf deutend: „Die sind in Italien, die in Frankreich. Hier, Deutschland … ich bin die Einzige in Österreich. Eine umfangreiche Erwerbsbiografie hat hier jeder und jede. „In wie vielen Ländern hast du schon gearbeitet?“, lautet eine Frage beim abendlichen Beisammensein zweier Familien. Auf mindestens sieben kommt jede und jeder am Tisch.

Was in Westeuropa eine Zierde des Curriculum Vitae wäre, sorgt bei den Pflegekräften aber nicht für höhere Bezahlung. Drei Euro die Stunde, in den allermeisten Fällen läuft die Vermittlungen und Beschäftigung über Agenturen. „Was sie nicht sehen, ist, dass sie uns sehr viel mehr brauchen, als wir sie“, analysiert Maria die Situation. Loch auf, Loch zu – in Österreich füllen sie eine Lücke, in Rumänien reißen sie mit ihrer Abwesenheit eine auf.

Maria kümmert sich liebevoll und freundlich um die ihr anvertraute alte Dame, sie demonstriert aber auch und spricht gewandt auf Manifestationen vor der Wiener Karlskirche und dem Stephansdom, um eine höhere Entlohnung und gerechtere Behandlung – zusammen mit der streitbaren Elena Popa, die ein System der Ausbeutung der Pflegekräfte aufgedeckt hat – zu erwirken.

Aber sogar die kraftvolle Maria bleibt sprachlos, als ihr der Sohn vorhält, „Du bist nicht da, du kümmerst dich nicht. „Das ist hart, wenn es vom eigenen Spross ausgeht, dem man doch eine gute Zukunft ermöglichen möchte mit dem sauer verdienten Lohn – das trifft sogar die sonst so entschlossene wie energische Maria hart.

Eindringliche Bilder

Schnitt und Gestaltung von Pichler und Schöffel sind eindringlich – nicht die Arbeit in Österreich steht im Mittelpunkt, sondern das Leben in der Heimat, das ohne Maria für ihre Familie nur halb ist.

Nur in Zwischenschnitten sieht man Maria Richtung Westen fahren. Maria und Ehemann Daniel hackeln hart für ihren Traum, auf einem schönen Grundstück anstelle einer verfallenen Hütte ein Ferienhaus für Gäste zu errichten. Und kümmern muss man sich in beiden Ländern – die greisen Großeltern können ihre kleine Landwirtschaft nicht mehr betreuen – es ist ein jammervolles Bild, als die kleine Schaf- und Ziegenherde der Großeltern zu einem anderen Tierhalter gebracht werden muss.

Von Peter Kolb

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