Medienhysterie lang vor Tiktok und Insta

Musicalpremiere „Chicago“ im Stadttheater Bad Hall

Nini Stadlmann und Tamara Viola Kurti als reuelose Männermörderinnen Roxie Hart und Velma Kelly sind die Stars des Premierenabends in Bad Hall. Chicago, das Musical mit der Musik von Fred Ebb und Bob Fosse (UA 1975 in New York) rauschte mit viel Zwischenapplaus am Samstag über die Bühne des Stadttheaters.

Den beiden Protagonistinnen gelingt es Verruchtheit und Dreck in ihre Stimme zu legen. Die reizvollen Unterschiede liegen aber nicht nur im optischen Kontrast blond- gegen schwarzhaarig, sondern auch in ihren Stimmlagen und Charakteren.

Roxie tändelt als abgebrühte, gespielt Naive mit schnoddriger Direktheit, Velma gibt die lasziv Skrupellose, die untergründig auch ihre Verletzungen spüren lässt.

Schon beim Einstiegshit „All that Jazz, (alle Songtexte sind ins Deutsche übersetzt), lässt sie ahnen, was an jazziger Bandbreite in ihr steckt. Im Hintergrund treibt Roxie tabulosen Sex mit einem Liebhaber, akrobatisch, abstrakt und sehr witzig. „Mich lässt keiner sitzen“ endet der Akt, zugleich das Leben ihres Lovers nach drei Schüssen. Roxie landet im Knast.

Ihr droht die Todesstrafe. Die vereinten Männermörderinnen empfangen mit dem Tango „Er liebt mich“ und dem Statement der Leiterin „Sie haben bekommen, was sie verdienen“.

Die zweistöckige Bühnenkonstruktion, eine Arena eingerahmt von Gittertüren, bietet den perfekten Raum für das hervorragende Orchester und viel feien Platz für Chor und das Ballett der „einzigartigen Killer-Girls“. Gottfried Angerer feiert Erfolge in gleich drei Disziplinen: Als musikalischer Leiter, Bühnenbildner und dem Videoschnitt.

Was wäre das berühmte Gefängnis ohne Mama Morton, (Regisseurin Susanne Kerbl selbst) die nicht nur mütterliche Zuneigung für ihre mörderischen Girls empfindet. Mit ihrem Song „Bist du gut zu Mama“, stellt sie klar, dass nur gegen entsprechende finanzielle Zuwendungen Telefonate und vor allem eine spezielle Rechtsvertretung zur Verfügung steht, nämlich Staranwalt Billy Flynn, selbstgefällig verkörpert von Johannes Nepomuk als geleckter, schleimiger Rechtsverdreher „Ich bin nur für Liebe da“.

Auch für Roxie konstruiert er eine rührende Pressestory. Starjournalistin Mary Sunshine, alias Katerina Beranová, eine imposante Erscheinung mit opernhafter Stimme und gekonnter Hysterie, frisst ihm aus der Hand.

Die tränentreibende Story wird der Kracher. Roxie schwelgt im Pressehype. Wie zuvor Rivalin Velma erlebt sie endlich öffentliche Aufmerksamkeit und träumt schon von der großen Karriere. Velmas Angebot als Schwestern aufzutreten, lehnt sie ab.

Medienwirksam inszeniert der Anwalt auch Roxies Prozess als Highlight der Show. Hervorragend dazu die Choreografie von Damien Cortez Alberti. Kleine Bewegungen oder großer Tumult, synchron oder scheinbar chaotisch geben der gesamten Handlung Dynamik, Stil und Rhythmus.

Daneben agiert Thomas Bammer als Roxies unbeirrbar liebenden Ehemann Amos Hart, so unauffällig und bescheiden, dass er immer nur „Mr. Zellophan“ bleiben wird, dafür aber bedauerter Liebling des Publikums.

Groß auf Videowalls erscheint Conférencier Erich Josef Langwiesner. Ganz herrliche Dame und pompöses Gesamtereignis kommentiert er bis zum Happy End.

Wie schnell öffentlicher Ruhm verweht, erfahren Velma und Roxie gleich nach dem Prozess. Wie schnell auch drei Stunden (mit Pause) vergehen können, erlebt das begeisterte Publikum.

Von Eva Hammer

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