Neues Buch: Thomas Manns Liebe zu einem Künstler

Paul Ehrenberg war für Thomas Mann drei, vier Jahre lang das „Zentrum der Welt“. So sieht es jedenfalls der Journalist Oliver Fischer, der dieser ganz besonderen Freundschaft und Liebe jetzt ein Buch gewidmet hat, das den Auftakt zum Thomas-Mann-Jahr 2025 bildet. Der Titel „Man kann die Liebe nicht stärker erleben“ greift ein Zitat des großen Literaten auf, mit dem dieser selbst einmal seine Gefühle für Ehrenberg beschrieb.

Für Thomas Mann ging die Liebe so weit, dass er mit dem jungen Künstler nicht nur seine Freizeit verbrachte, sondern ihn auch mehrfach in seinem Werk verewigte. So soll der hübsche Ehrenberg ihn zu der Figur des umschwärmten Hans Hansen in der Novelle „Tonio Kröger“ inspiriert haben, ebenso war er das Vorbild des anziehenden blonden Geigers Rudi Schwerdtfeger in „Doktor Faustus“ und des Joseph in Manns großem Bibelroman. Daran zeigt sich, dass die Liebe zu Ehrenberg den Literaturnobelpreisträger noch lange nach dem Ende dieser letztlich für ihn so unglücklichen Beziehung bis ins kalifornische Exil verfolgte.

Anders als andere Forscher interessiert sich Fischer jedoch nicht nur für Ehrenberg als literarische Vorlage, sondern er zeichnet auch dessen gesamte Biografie nach, die im starken Kontrast zum Leben von Thomas Mann verlief. Während der Literat reich und berühmt wurde, versandete der Erfolg des Malers nach und nach. Konnte er anfangs recht gut von seinen Tiermalereien leben, kam er bald in wirtschaftliche Nöte und musste seinen alten Freund Thommy um Hilfe bitten. Nach vielversprechenden Anfängen endete Ehrenberg „als Lokalgröße in der sächsischen Provinz“.

„Asymmetrische Liebe“ zweier ungleicher Männer

Die beiden Männer trafen sich in einem Münchener Salon im Jahr 1899, als Thomas Mann gerade an den „Buddenbrooks“ schrieb. Ehrenberg besuchte damals die Münchener Kunstakademie. Der 23-Jährige verfügte über all das, was Mann fehlte – vor allem Leichtigkeit und jugendliche Unbeschwertheit.

Aus Liebe zu ihm tat der etwas steife, mit seiner Sexualität ringende Schriftsteller plötzlich Dinge, die ihm sonst fremd waren. Er besuchte etwa mit dem Freund rustikale Bauernbälle und seichte Opern oder verfasste schwülstige Gedichte. Oliver Fischer streicht heraus, dass es sich um eine durchaus asymmetrische Liebe handelte. Von Seiten Manns war es eindeutig eine verdruckste homoerotische Zuneigung, für Ehrenberg wohl nicht viel mehr als eine gute Freundschaft. Denn Ehrenberg liebte Frauen.

Mann kompensierte seine emotional-sexuelle Abhängigkeit mit einer gewissen intellektuellen Arroganz, bezeichnete den Geliebten als „rechtschaffenen, ungetrübten, kindlichen, ein bisschen eitlen, aber unbeirrbar treuherzigen Kameraden“. Insgesamt erscheint der Schriftsteller in dieser von ihm so gerühmten Beziehung herablassend und wenig sympathisch. In einer Widmung der frisch erschienenen „Buddenbrooks“ nannte Thomas Mann seinen Freund einen „tapferen Maler“, was dieser nur als herabwürdigend empfinden konnte.

Heirat als Ende einer Männerfreundschaft

Die enge Freundschaft der beiden Männer endete spätestens mit Thomas Manns Heirat mit Katia Pringsheim 1905, mit der er sich einen bürgerlich-respektablen Anstrich als „normaler“ Mann geben wollte. Auch Ehrenberg heiratete, sogar zweimal. Homosexuelle Beziehungen scheint er nicht geführt zu haben, während Thomas Mann sich weiterhin zu jungen Männern hingezogen fühlte.

Fischer widmet sich auch der teilweise impressionistisch geprägten Malerei Ehrenbergs und schildert ausführlich dessen Aufenthalt in einer Künstlerkolonie im pfälzischen Wörth. Er analysiert ebenso Ehrenbergs politische Haltung, die zunehmend nationalistischer wurde. Im Alter arrangierte der Maler sich mit den Nazis. Das ist gut recherchiert, doch alles in allem muss man feststellen, dass Paul Ehrenberg eine etwas fade Figur ist. Und natürlich wäre er längst im Nebel der Geschichte verschwunden, wenn es nicht diese besondere Beziehung zu Thomas Mann gegeben hätte.

Oliver Fischer: „Man kann die Liebe nicht stärker erleben. Thomas Mann und Paul Ehrenberg“, Rowohlt, 304 Seiten, 26,70 Euro

Die mobile Version verlassen