Was ist Zeit? Die schlauesten Köpfe der Menschheit haben darauf noch keine Antwort gefunden. Also Selbsterfahrung, dachten sich vier Studierende der Linzer Kunstuniversität.
Simon Hehl, Laura Meyer, Sanaz Rafii und Gabriella Vincze-Bába verbrachten vier Tage in einem Keller. Die ersten zwei Tage ohne Zeitmessung (vulgo „Uhr“), danach mit. Sonst kaum Ablenkungen, die vier mussten sich eigenständig „die Zeit vertreiben“.
Künstlerische Verarbeitungen des Experiments – Objekte, Filme, die Gestaltung des Raums an sich – finden sich in der Ausstellung „Greyscale – Zeitbasierte Medien“. Teil der simpel „Rundgang“ betitelten Veranstaltung, mit der sich die Kunstuni bis Samstag präsentiert.
Werkstätten und Ateliers, zugänglich heute 11 bis 18 und Samstag 11 bis 14 Uhr. Wohl auch eine Selbstvergewisserung der Universität selbst: Während der Corona-Wellen oft nur Kontakte via Bildschirm, dreidimensionale Künste ins Zweidimensionale gezwängt, kreativer Austausch ausgetrocknet.
Intime Falten
Hilfreich ist beim „Rundgang“, wenn die Kunstschaffenden vor Ort Auskunft geben – Merkmal der zeitgenössischen Kunst, ohne vielzitierten Kontext geht oft nix. Was haben die Zeitforschenden erfahren? Der Schriftzug „without time, we have time“ (ohne Zeit haben wir Zeit) auf einem Monitor, die Rückkehr zur gemessenen Zeit habe zu Konflikten geführt, sagt eine Studentin. Wesentlich auch individuelle Zeitwahrnehmungen und die Frage: Gibt es eine gute, eine gemeinsame Zeiterfahrung?
Der „Rundgang“ lässt einige bislang oft unbekannte kreative Welten erfahren. Weberei, Siebdruck, die Abteilungen für Malerei, Textilien, zwangsläufig im 21. Jahrhundert auch die digitalen Künste, das Schaffen im virtuellen Raum. Richtiggehend „old school“ ein Raum, gesäumt mit – Papier? Die weißen Dinger sind Gipsabdrücke, Pia Pollems hat die Installation „(ent)faltete Körper“ gestaltet. Das Thema sind Falten, „nicht neutrale Falten“, wie Pollems sagt. Hautwulste zum Beispiel, die als unschön gelten in jugendvernarrter Gesellschaft. Hautgrenzen wurden überschritten, ein intimer Vorgang, Pollems nahm Gipsabdrücke von Körperstellen Freiwilliger.
Die Kunstuni an mehreren Orten präsent, beim Lentos, bei der Stadtwerkstadt. Gleich neben dem Gebäude an der Domgasse der „frisiersalon“, temporäre Ausstellungsfläche für Studierende. Aktuell „white flag“ (weiße Flagge) von Julia Zwettler in der Auslage, dezent und aufwühlend. Stofftiere stellvertretend für Kinder auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine, ein Verzweiflungsschrei in der beschaulichen Pfarrgasse: Ist das nicht absurd? Zwettler antwortet mit einer Gegenfrage: Ist im Leben nicht das meiste absurd? Sieht ganz danach aus.
Von Christian Pichler