„One Minute Sculptures“ und „Essiggurkerl“: Erwin Wurm wird 70

Österreichs erfolgreichster lebender Künstler wollte eigentlich Maler werden

Erwin Wurm ist Österreichs erfolgreichster lebender Künstler. Mit „One Minute Sculptures“, in denen der Steirer Menschen in grotesken Verrenkungen mit Alltagsgegenständen zu Skulpturen werden lässt, machten ihn in den 90ern berühmt. Sein Werk umfasst neben Materialskulpturen wie aufgeblähte Autos und XXL-Gurkerln auch Videos, Fotos, Zeichnungen und Bücher. Am 27. Juli wird der Staatspreisträger 70 Jahre alt. Die Albertina Modern widmet ihm ab 13. September eine Retrospektive.

Erwin Wurm wurde am 27. Juli 1954 in Bruck an der Mur geboren und studierte von 1977 bis 1979 am Mozarteum in Salzburg und von 1979 bis 1982 an der Hochschule für angewandte Kunst sowie an der Akademie der bildenden Künste in Wien. „Ich wollte eigentlich Maler werden, habe die Aufnahmeprüfung nicht geschafft und wurde in die Bildhauerklasse gesteckt“, sagte Wurm heuer in einem APA-Interview anlässlich des Erscheinens der ersten Biografie, verfasst von Rainer Metzger. Er schuf aus Brettern, Latten und Blech Skulpturen, die er bunt bemalte. In diesen frühen Arbeiten bezog er sich in ironischer Anspielung auf den Futurismus und unterlief damit kunsthistorische Gewissheiten.

„Skulpturales im Verhältnis zum Sozialen“

„Am Anfang war ich angesteckt durch den schnellen Erfolg, den ich erzielt habe mit der Holzplastik, die viel zu tun hatte mit der Wilden Malerei, der Wilden Skulptur der 80er-Jahre. Aber ich habe dann schnell gemerkt, dass das nicht wirklich meine Zukunft ist, und habe mich davon getrennt“, so Wurm. Ab 1990 stellte er seine neue Arbeitsweise vor und „ab dann zieht sich ein Faden durch. Es geht immer um den Begriff des Skulpturalen im Verhältnis zum Sozialen.“

Er fertigte erste Skulpturen aus Textilien an, experimentierte aber auch mit Staub, bis er 1997 nach einer veritablen Krise – Vater und Mutter sterben kurz hintereinander, die Ehe mit Dorothee Golz, aus der die Söhne Laurin und Michael entstammen, zerbricht – mit den in Fotografien und Videos festgehaltenen „One Minute Sculptures“ einen internationalen Coup landete: Mit dem Aufeinandertreffen von Menschen und Alltagsgegenständen in ungewohnter Konstellation dekonstruierte der Künstler die Vorgangsweisen ritualisierten menschlichen Tuns auf eine Art und Weise, die fest gefügte Begriffe und Handlungen ins Wanken brachte.

2006 war eine 400 Werke umfassende Schau im mumok zu sehen. Gezeigt wurde dort etwa auch der rote „Fat convertible“-Porsche, der Wurms Methode, bekannte Gegenstände quasi übergewichtig werden zu lassen, repräsentierte. Publikumsmagnet war auch ein auf dem mumok-Dach platziertes, umgedrehtes Einfamilienhaus. Seit 2011 sind die mannshohen, aus dem Asphalt wachsenden Gurken – Wurms „Selbstporträt als Essiggurkerl“ – im Salzburger Festspielbezirk präsent.

Präsent in der internationalen Kunstszene

2011 begeisterte Wurm auf der Biennale in Venedig mit seinem zusammengestauchten Elternhaus („narrow house“). Was man mit ausrangierten Möbelstücken machen kann, zeigte er daraufhin unter dem Titel „Schöner Wohnen“ im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK). 2012 zeichnete Wurm für ein gekrümmtes Segelboot verantwortlich, das auf dem Dach des Wiener Hotels Daniel platziert wurde. Im selben Jahr präsentierte er neue „Zornskulpturen“ im Gironcoli-Museum in der Oststeiermark und im Rahmen der Schau „De Profundis“ übermalte er Aktfotos in der Albertina. Weitere Ausstellungen in Österreich folgten.

2020 war im Wiener Stephansdom ein Fastentuch von Wurm zu sehen. Die elegante Meile Via Veneto in Rom diente 2021 als Kulisse für 14 Installationen des österreichischen Kunststars. In der Biblioteca Nazionale Marciana am Markusplatz von Venedig zeigte Wurm 2022 eine neue Werkgruppe aus bis zu vier Meter hohen, strahlend weißen Skulpturen. Für ein Kunstprojekt zierte im selben Jahr eine riesige hellrote Handtasche mit langen Beinen die Bonner Innenstadt.

So präsent Wurm in der internationalen Kunstszene ist, so wenig hält er mit Kritik an ihr zurück. Als „Hyäne“ bezeichnete er den globalen Kunstmarkt in der 2012 erschienenen TV-Dokumentation „Der Künstler der die Welt verschluckt“, der ihn als um die Welt jettenden, selbstkritischen Künstler zeigt, der in seinem Arbeitsalltag kein Verständnis für Ineffizienz hat. Die Verleihung des Großen Staatspreises nutzte Wurm an seinem 59. Geburtstag auch dazu, das herrschende „Fettarschsystem“ zu verteufeln.

Wurm ist trotz internationaler Erfolge in Österreich sesshaft geblieben und lebt Wurm auf Schloss Limberg in Niederösterreich. „Ich habe hier viele Freunde. Die Natur ist schön. Es gibt so eine tolle Historie an Architektur usw. Natürlich gibt’s auch viele Deppen hier, aber die gibt’s eh überall.“

Ob er sich in der Szene wohlfühlt oder nicht: Heute zählt Wurm zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart, findet sich in den (von ihm kritisierten) internationalen Kunstrankings stets auf vorderen Plätzen und stellt auf der ganzen Welt aus. Neben dem Staatspreis erhielt der dreifache Vater, der in zweiter Ehe mit der Künstlerin Elise Mougin verheiratet ist, u.a. 1984 den Otto Mauer-Preis, 1993 den Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst, 2004 den Kunstpreis der Stadt Graz und 2024 den Großen Josef-Krainer-Preis.

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