Poetische Reise: Glögglwaggon läutete Kulturhauptstadtjahr ein

Die klingende Fahrt auf Schienen, ein Projekt von Georg Nussbaumer, bleibt leider ein einmaliges Hörerlebnis

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„Ich wollte schon immer wissen, wie es sich anhört, wenn die Glocken vor Ostern nach Rom fliegen“, sagt Georg Nussbaumer im VOLKSBLATT-Gespräch. Rom ist es zwar nicht geworden, dafür aber das Salzkammergut: Am Freitag „flogen“ Glocken auf Schienen bei dichtem Schneetreiben durch die Landschaft, läuteten quasi das Kulturhauptstadtjahr ein und sorgten für ein geniales Hörerlebnis.

Der Glögglwaggon ist eines von insgesamt vier Projekten, die der 1965 in Linz geborene Komponist Georg Nussbaumer, Spezialist für klingende Gesamtkunstwerke und große Klanginstallationen, unter dem Titel „Salzkammer(sc)hall“ im Laufe des Jahres für die Kulturhauptstadt 2024 umsetzt. „All diese Projekte haben mit Klang und Landschaft zu tun“, erklärt Nussbaumer, der dafür auf „klingende Phänomene“ zurückgreift, die in der Region schon vorhanden sind.

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Und so hingen am Freitag auf einem eigens gebauten Gerüst auf einem Waggonboden 49 Glocken — Leihgaben der Glockengießerei Perner aus Passau — und 37 Schellen von der einzigen weiblichen Passe in Ebensee. Dazu kamen Paddel aus Aluminium, die an die Ruder der Flößer und Salzschiffer erinnern sollten. Diese gaben, angetrieben vom Fahrtwind, Impulse an Tasten ab, die wiederum Glockenschläge auslösten, die für ein poetisches Klangerlebnis sorgten.

Umgesetzt hat die Vision des Komponisten, der bereits 2009 für die Kulturhauptstadt Vilnius ein Projekt gestaltet hat, die Lehrwerkstätte der ÖBB in Linz. Lehrlinge aus verschiedenen Jahrgängen haben mit Begeisterung an dem besonderen Instrument gebastelt und es am Attnanger Bahnhof, wo die Reise der Glocken begann, stolz präsentiert. Gemeinsam mit Verkehrsministerin Leonore Gewessler, ÖBB-Infrastruktur AG-Vorständin Silvia Angelo, Landesrat Stefan Kaineder und Kulturhauptstadt-Intendantin Elisabeth Schweeger fand dann die Glockenfahrt statt.

Von Attnang-Puchheim führte die klingende Reise bis nach Stainach-Irdning. Vielerorts standen Menschen entlang der Bahnstrecke, die dem besonderen Zug zuwinkten und sich am Klangerlebnis erfreuten. 44 Kirchen antworteten bei der Durchfahrt mit ihrem eigenen Glockenklang. In Ebensee wurde der Zug zusätzlich mit beleuchteten Kappen der Glöcklerfrauen begrüßt. Je mehr Fahrt die Reise aufnahm — maximal 80 Stundenkilometer —, umso mehr glöckelte es, umso beschwingter tönten die Glocken, die sonst die Menschen zum Gebet in die Kirche, also auch zur Ruhe und zum Innehalten einladen.

Nachdem sich die Dunkelheit über das Land gelegt hatte, waren die beleuchteten, glänzenden Glocken nicht nur weithin hör-, sondern auch sichtbar. Höhepunkte erfuhr die klingende Reise auch beim Durchfahren der Tunnel entlang des Traunsees, wo die Stimmen der Glocken für einige Momente noch eindringlicher erklangen. Aber auch die Bergwelt, die den See umschließt, trug das ihrige zum Sound bei.

Die Leiter der ÖBB-Lehrwerkstätten hatten vom letzten Waggon vor den Glocken aus alles im Griff und konnten sich vor Begeisterung über das geglückte, beglückende einmalige Erlebnis, das alle Erwartungen übertraf, selber kaum halten. Man wünscht sich, diese klingende Auseinandersetzung mit der Tradition, die in ein neues Umfeld transferiert wird, würde öfters durchs Salzkammergut läuten.

Die weiteren Projekte von „Salzkammer(sc)hall“ sind „Der langsame Schuss“ im Juni, „Der gesungene Horizont“ im September und „Die Landschaftsorgel“ im Oktober. Mit dabei sind Prangerschützen, Chöre und Musikkapellen des Salzkammergutes.

Von Melanie Wagenhofer