Hippiespirit, Show und Sensationsgier. Zeitgeist und Stimmung definiert der Procol Harum Hit „A Whiter Shade of Pale“ (1967). Das Intro der Dalli-Dalli-Show kracht mitten drein. 1974 erschien zur Hochphase des RAF-Terrors die Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ eine scharfe Abrechnung mit den Methoden des Boulevard-Journalismus durch Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll.
Was einst die Bildzeitung transportierte, potenziert heute Social Media. Was man jetzt Mobbing nennt, hieß Rufmord. Die so Gemordete Katharina Blum verliert durch sensationsgeile Presseberichte ihre Ehre.
Am Donnerstag (20. September) feierte die Dramatisierung der millionenfach aufgelegten Erzählung von Heinrich Böll (1917-1985) im Phönix Premiere. Zu seinem vernichtenden Kampf gegen die Bild-Zeitung meinte Böll: „Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten sind weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“
Das Stück spielt heute noch gültig durch, was menschenverachtende Berichterstattung aus einer unbedeutenden, unbescholtenen Person macht. Regisseur Bernd Liepold Mosser bemüht sich gar nicht erst, einen aktuellen Bezug zu modernen medialen Machenschaften herzustellen, sondern stellt Gina Christoph als Katharina Blum in den Fokus einer sensations- und auf die Frau geilen Meute.
Alle Figuren in ihrem Umfeld lässt er, zum Teil choreografiert, um sie tanzen. Dem Zuschauer zeigt er so die öffentliche Meinung und deren Grundlagen. Ein sanfter Hinweis als Gegenwartsbezug soll gegen Ende der Show das kollektive Gewissen kitzeln: „Wir alle lesen Nachrichten, Damen und Herren!“
Katharina Blum verlässt ihren zudringlichen Ehemann, arbeitet in Haushalten und erlebt immer wieder Zudringlichkeiten seitens ihrer Dienstgeber. Grundsätzlich erachten sämtliche Männer in ihrem Umfeld, auch Respektspersonen wie Polizisten oder Staatsanwalt, es als selbstverständlich, dass eine Hausangestellte kein Recht habe, sich gegen Annäherungen aufzulehnen.
Entwürdigung auf ganzer Linie. Dabei sehnt sie sich nach Zärtlichkeit, nach jener Wärme und Zuneigung, die sie vielleicht in einer flüchtigen Nacht mit Ludwig Götten erlebte, nicht wissend, dass der als Terrorist verdächtigt und gesucht wird.
Ab da gerät sie in die Fänge von Polizei und Sensationsjournalismus. Wenn ihr Dienstgeber, ein Anwalt, angibt, dass grundsätzlich jeder Mensch unter bestimmten Umständen eines Verbrechens fähig sei, steht im Schmierblatt „Ihr Diensteber traut Katharina Blum jedes Verbrechen zu“. Die Presse stellt sie als eiskalte, berechnende „Terroristenbraut“ bloß. Sie erhält Unmengen von obszönen, hasserfüllten, anonymen Anrufen und Briefen.
Verleumdung, Unterstellungen und Vorverurteilung überrollen sie, bis Katharina tatsächlich zur Täterin wird und zur zynischen Stimme aus dem Off: „Die Pressefreiheit ist eines der wertvollsten Elemente unserer Demokratie“ den Reporter erschießt, und „warum eigentlich nicht“ gleich auch Dienstgeber und Staatsanwalt.
Auf der Strecke dominieren Show- und Sensationslust zu Lichtspektakel und Hits wie „Daddy cool“. Zum Text wird gesteppt, Menschen erscheinen mit plakativen Masken, etwa als Bluthund. Nicht immer ist klar, welche Rolle die mehrfach besetzen Figuren gerade einnehmen. Zeitung und Polizei treten im Doppelpack auf. Aufgelegte Symbolik abstrahiert die hektisch chaotischen Abläufe, die einen den Überblick auch mal verlieren lassen.
Gina Christoph in der Hauptrolle berührt, wenn sie aus ihrer Ohnmacht zur Mörderin wird. Eiskalt gibt sie ihre Personalien an. Kälte, Ekel, Angst und Zorn schwingen in ihrer Stimme mit. Ihr anfangs verständnisvoller Dienstgeber Martin Brunnemann wechselt die Fronten, wie seine kühle Gattin Karina Pele, die auch mit der Doppelbödigkeit ihres Charakters überzeugt. Personifiziert schleimig agiert Lukas Weiss und ohne jegliche Skrupel hechelt jeder Sensation hinterher Sebastian Pass.
Hektische 90 Minuten, die sich nicht zwischen dem Nach-Erzählen einer Geschichte oder einer Bilderfolge zum Thema Journalismus und Feminismus entscheiden, mit einem sehr feinen Schauspielensemble, dem auch der Applaus gebührt.
Von Eva Hammer