Riahi entführte beim Jazzfestival Saalfelden in Traumwelten

Abtauchen in andere Welten lautete das Motto Freitagabend beim Jazzfestival Saalfelden. Klarinettistin Mona Matbou Riahi entführte mit ihrem Projekt „Nebulift“, das die Hauptbühne im Congress eröffnete, in psychedelische Traumlandschaften, während das Trio Radian Noise, Groove und Experiment zusammenführte und die Supergroup The End ihrem Namen alle Ehre machte. Ohnedies galt: Bunt gemischt ist intensiver genossen.

Nicht erst seit gestern setzt der künstlerische Leiter Mario Steidl mit seinem Team auf eine vielseitige, dabei fein austarierte Mischung beim mehrtägigen Event in der Pinzgauer Bergwelt. Wo untertags bei den vielen gratis zugänglichen Konzerten oft ein tanzbarer Gestus vorherrscht – gestern ließ etwa die Osttiroler Formation Jimmy and the Goofballs kaum Wünsche offen und servierte knackigen Ska mit einer Prise Hip-Hop, um die Hüften kreisen zu lassen -, gibt es auf der Hauptbühne sowie in der Entdeckerschiene Short Cuts betont anspruchsvolle Kost, die man sich durchaus erarbeiten muss.

Wobei: Im Fall von Riahi, die die Auftragsarbeit für das Festival mit ihren Kollegen Dorian Concept (Electronics) und Manu Mayr (Bass) sowie wunderbaren Visuals von Lou Zon umsetzte, musste sich das Publikum eigentlich nur fallen lassen. Eine knappe Stunde lang ging es zwischen pluckernden Beats und wabbernden Klängen durch verschiedenste emotionale Zustände, durfte man sich in wohligen Sounds suhlen, um nur wenig später von scharfen Akzenten der Komponistin wieder aus der Ruhephase gezogen zu werden.

Mayrs Bassspiel zog sich wie ein Herzschlag durch das gesamte Stück, während Concept Schicht um Schicht seine Konstruktionen verfeinerte. Kaum war im Nebel ein melodiöser Bogen auszumachen, änderte Riahi die Stoßrichtung – allzu sicher durfte man sich trotz des mäandernden und kontemplativen Gestus nämlich nicht sein, dieser Traum drohte stets zu platzen. Zwischendurch wurden Sprach- und Gesangssamples gesetzt und ging die Musikerin auch immer wieder selbst an die Bühnenfront. Verdientermaßen gab es am Ende großen Applaus für diese mutige Eröffnung der Main Stage.

Über mangelnden Zuspruch durften sich in der Folge auch das Kris Davis Trio sowie Daniel Erdmann samt Kollegenschaft nicht beschweren. Während die kanadische Pianistin ihr in wenigen Wochen erscheinendes Album „Run the Gauntlet“ vorstellte und eindrucksvoll in dissonante Sphären abtauchte (nicht zu vergessen das ungemein mitreißende Bassspiel von Robert Hurst), wurde die deutsch-französische Paartherapie von Erdmann zu einem Höhepunkt des Tages. Kein Wunder, wenn man so illustre Mitstreiter wie Violinist Théo Ceccaldi oder Bassist Robert Lucaciu an seiner Seite hat. Das Sextett, eben bestehend aus drei deutschen und drei französischen Musikern, ließ die Klänge vibrieren, sich dabei wie blind die Bälle zuspielend, wobei harmonischer Schönklang und kraftvolle Ausbrüche sich gebührend die Waage hielten.

Zum Erzittern brachten schließlich zwei andere Formationen ihre jeweiligen Auftrittsstätten: Das Wiener Noise- und Experimentaltrio Radian führte in der Otto-Gruber-Halle vor Augen (und Ohren), dass sich fragile Momente, verschobene Strukturen und kathartische Entladung keineswegs ausschließen. Manu Mayr durfte sich hier übrigens ein zweites Mal feiern lassen, stand er doch anstelle von Stammbassist John Norman gemeinsam mit Gitarrist Martin Siewert und Drummer Martin Brandlmayr auf der Bühne. Und die famos zusammengesetzte Gruppe The End um die Ausnahmesaxofonisten Mats Gustafsson und Kjetil Møster sowie Sängerin Sofia Jernberg knallte zum Abschluss des Tages dem Publikum auf der Hauptbühne hoch energetischen Noisejazz um die Ohren. Nicht umsonst meinte der heuer in Saalfelden vielbeschäftigte Gustafsson zu Beginn augenzwinkernd: „Das Ende ist hier, das Ende ist nah. Seid vorsichtig.“

Mit Vorsicht haben wiederum Bipolar Feminin nichts am Hut. Die österreichische Indie-Rock-Band spielte beinahe zeitgleich ein gewohnt mitreißendes wie druckvolles Set im Kunsthaus Nexus, wobei auch die große Altersspanne im Publikum deutlich wurde. Dieses Jazzfestival hat nämlich längst alle erreicht, egal ob man nun dem gepflegten Experiment nachhängt oder sich doch einfach nur mit den besten Freunden eine gute Zeit machen will. Gesellschaftspolitischer Gestus und musikalische Finesse gehen ohnedies Hand in Hand. Bis Sonntag steht noch einiges am Programm, das man sich keinesfalls entgehen lassen sollte.

(Von Christoph Griessner/APA)

jazzsaalfelden.com

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