Gerüchte hat es zwar gegeben. Doch der große Knall überraschte Fans dann doch: Auf einmal steht die Rockband Linkin Park wieder auf der Bühne – mit neuen Gesichtern und neuer Musik. Bei ihrem Comeback in Los Angeles, das Anfang September live in die Welt gestreamt wurde, kündigte die Gruppe gleich auch eine neue Platte an. „From Zero“ heißt das achte Studioalbum. Es ist das erste ohne Sänger Chester Bennington, der sich 2017 das Leben genommen hatte.
Am Mikrofon steht nun Emily Armstrong, bisher vor allem als Frontfrau der Band Dead Sara tätig. Am Schlagzeug sitzt Colin Brittain, der auch als neuer Produzent mitwirkt. Linkin Park habe keine Castings abgehalten, sagte Gründungsmitglied Mike Shinoda in einem Podcast, der auf dem bandeigenen YouTube-Kanal veröffentlicht wurde. Sie hätten Sessions mit verschiedenen Musikern gespielt, bei Armstrong und Brittain habe es einfach gepasst. „Ihr seid jung genug, um eine andere Perspektive auf die Welt und auf Musik zu haben“, sagte der 47-Jährige über die rund zehn Jahre jüngeren Neuzugänge. „Aber ihr seid alt genug, um Erfahrung zu haben.“
Lesen Sie auch
Das neue Album spricht mit seinem Titel nicht nur vom Neustart nach einem tragischen Verlust, sondern greift auch auf die frühen Anfänge zurück. In den 90ern, noch bevor Bennington als Sänger dazustieß, nannte sich die Gruppe Xero. Ihr Erfolgsrezept fand die Band aus Kalifornien aber erst mit ihrem sechsten Mitglied und dem neuen Namen. Singles wie „In the End“ und „Numb“ machten Linkin Park in kurzer Zeit zu einer der kommerziell erfolgreichsten Nu-Metal-Bands der Welt. Markenzeichen: das Zusammenspiel aus Benningtons kraftvollem Gesang und den gerappten Parts von Mike Shinoda.
Als der Stilmix aus Metal, Rock, Rap und Elektro auserzählt schien, experimentierte die Band in andere Richtungen. Einige Kritiker lobten noch das düstere Rockalbum „The Hunting Party“ (2014) mit Gastauftritten von Daron Malakian (System of a Down) und Tom Morello (Rage Against The Machine). Die sanfteren und vor allem eher elektronischen Platten „Living Things“ (2012) und „One More Light“ (2017) hinterließen so recht aber keinen bleibenden Eindruck mehr.
Wie könnte nun Linkin Park ohne Bennington klingen? Um diese Frage zu beantworten, haben sich die Musiker viel Zeit gelassen. Schon 2019 traf man sich erstmals mit Armstrong, wie Shinoda im Podcast weiter erzählte. Das Ergebnis der jahrelangen gemeinsamen Arbeit passt jetzt auf ein kompaktes Album. Zehn Tracks sind auf der Platte, dazu ein gesprochenes Intro.
Doch eine Länge von rund 32 Minuten reicht dem Sextett, um Vergangenheit und Gegenwart zu vereinen. Tracks wie „Heavy Is The Crown“ und „Two Faced“ sind pointierte Fortsetzungen zum Erfolgsalbum „Meteora“ (2003) – Scratching und 90er-Rap-Flows inklusive. Das Duett „Good Things Go“ zeigt, wie spannend auch eine weichere Version von Linkin Park klingen kann. Und mit „Casualty“ gibt es dann noch einen Ausflug in den Thrash Metal. Das ist weit weg von der gefälligen Stadionband, als die Linkin Park zuletzt mitunter belächelt wurde.
Dass so viel Abwechslung möglich ist, liegt vor allem an der neuen Vokalistin. Armstrong überzeugt mit einer flexiblen Stimme, die zwischen glasklarem Gesang, Shouts und kräftigen Screams wechselt. Oft war sie in den vergangenen Wochen als weibliches Gegenstück zu Bennington beschrieben worden – und als klug gewählte Alternative zu einem männlichen Nachfolger.
Neben Lob hatte Armstrong aber auch Kritik erfahren. In den sozialen Medien wurde der Sängerin vorgeworfen, den wegen Vergewaltigung verurteilten Schauspieler Danny Masterson vor Gericht unterstützt zu haben. Auch ein Foto aus dem Jahr 2013, das sie bei einer Gala der umstrittenen Scientology-Organisation zeigt, wurde diskutiert. Armstrong distanzierte sich mittlerweile von Masterson. Zu Scientology äußerte sie sich dagegen nicht, auch das Management der Band machte auf Nachfrage keine Angaben. Wie eng Armstrongs Verhältnis zu der Organisation wirklich war oder ist, blieb daher bisher unklar.
Für viele Fans der ersten Stunde, also vor allem Millennials, die sich zu „Hybrid Theory“ (2000) den Frust von der Seele geschrien hatten, überwog die Begeisterung über das Comeback. Die ersten Liveshows nach siebenjähriger Pause waren in kurzer Zeit ausverkauft. Laut Bassist Dave „Phoenix“ Farrell ist die Band zurückgekommen, um zu bleiben. „Wenn es so weitergeht, wie es sich jetzt schon anfühlt und läuft, habe ich unendlich viel Energie, die ich wieder in die Band stecken kann“, sagte er dem Magazin „Billboard“.
Inhaltlich bleibt Linkin Park indes vertrauten Themen treu: Auf der Comeback-Platte geht es ums Verlieren und Verlorengehen, um abgerissene Brücken und das Gefühl, nie so richtig verstanden zu werden. „Let me out“, schreit Armstrong in dem Song „Casualty“, zu gleichen Teilen flehend und drohend. Auch Bennington hätte auf dieser Zeile großartig geklungen.