Rosalie ist eine junge Frau in Frankreich im Jahr 1870. Doch sie ist anders als die anderen. Seit ihrer Geburt sind ihr Gesicht und ihr Körper mit Haaren bedeckt. Aus Angst vor Ablehnung wurde sie immer gezwungen, sich zu rasieren, um ihre Symptomatik zu verbergen. Bis zu dem Tag, an dem Abel, ein verschuldeter Wirtshausbesitzer, sie wegen ihrer Mitgift heiratet. „Rosalie“ ist der zweite Langfilm von Stéphanie Di Giusto.
Gleich die erste Szene kündigt symbolhaft ihre bevorstehenden Demütigungen an. Sie zeigt, wie sie mit ihrem blütenweißen Hochzeitskleid durch den Schlamm läuft. Noch in der Hochzeitsnacht entdeckt Abel (Benoît Magimel) ihr Geheimnis und wendet sich angeekelt von ihr ab.
Von ihm abgelehnt, beschließt Rosalie (Nadia Tereszkiewicz), ihr Aussehen zur finanziellen Rettung ihres Hauses zu nutzen. Sie lässt ihren Bart wachsen und hofft, dass sie damit die Neugier der Menschen – potenziellen Kunden – weckt. Ihre Rechnung geht auf – das Geschäft floriert.
Rosalie gewinnt an Selbstvertrauen, fühlt sich endlich befreit und frei. Sie posiert für Fotos, auf denen sie ihre üppige Gesichts- und Körperbehaarung preisgibt. Und Abel beginnt, seine Frau zu respektieren – und zu lieben. Doch bald schon wendet sich das Blatt, denn sie wird von der Öffentlichkeit zum Monster degradiert.
Das Drama ist frei inspiriert nach der wahren Geschichte der berühmten bärtigen Frau namens Clémentine Delait. Sie wurde 1865 geboren, wuchs in den Vogesen auf und posierte für zahlreiche Postkarten. Sie erlangte sogar das damals streng verbotene Recht, Männerkleidung zu tragen.
Opfer von Intoleranz und Hass
Doch während es Delait schaffte, aus ihrem Unterschied ein echtes Geschäft zu machen, zum Liebling der Soldaten in den Schützengräben zu werden und durch Europa zu reisen, macht Di Giusto ihre Filmfigur zu einem Opfer von Intoleranz und Hass. Sie wird von den Einheimischen durch den Dreck gezogen und erfährt die Grausamkeit gieriger Großbürger.
Aktuelle Bezüge
Mit „Rosalie“ hinterfragt Di Giusto die Stellung der Frau in einem Historienfilm mit sehr aktuellen Themen. Auf subtile Weise schildert sie den Wunsch einer Frau, ihre Andersartigkeit zu erfahren und als solche akzeptiert zu werden. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Benoît Magimel („Die Klavierspielerin“) und Nadia Tereszkiewicz, mit der Di Giusto bereits „Die Tänzerin“ drehte, überzeugen in ihren Rollen. Sie verleihen der Geschichte emotionalen Tiefgang, der über das beliebige Filmende hinwegsehen lässt.
Von Sabine Glaubitz