Salzkammergut 2024: Völkerverständigung im Bad Ischler Lehár-Theater

Fünftägiges Europäisches Theaterfestival im Rahmen der Kulturhauptstadt - Mavie Hörbiger las Stefan Zweig und David Grossmann

Mavie Hörbiger las am Mittwoch in Bad Ischl. © APA/Hochmuth

Fünf Tage lang wird die Bühne im Lehár-Theater in Bad Ischl ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt: Das Europäische Theaterfestival im Rahmen der Kulturhauptstadt startete am Mittwoch mit einer Lesung von Mavie Hörbiger, die mit Texten von Stefan Zweig und David Grossmann Vorboten und Folgen des Krieges auf den Grund ging, und der Uraufführung des völkerverständigenden Stücks „Salz&Säulen/Inbox“ in Kooperation mit Christoph Schlingensiefs Operndorf Afrika in Burkina Faso.

Decken und Gratis-Punsch

„Wir haben dieses Theater der Menschheit wieder zurückgegeben“, meinte Salzkammergut-2024-Intendantin Elisabeth Schweeger zum Festivalstart. „Es ist zwar eine Baustelle, aber wir spielen trotzdem darin“ – denn das Haus, in dem einst dem urlaubenden Hochadel leichte Kost auf hohem künstlerischen Niveau serviert wurde, ist ebenso geschichtsträchtig wie renovierungsbedürftig. Der Saal ist heruntergekommen, so mancher Bereich im Obergeschoß aus Sicherheitsgründen gesperrt. Vorsorglich werden Decken ausgeteilt und Gratis-Punsch angeboten, denn Heizung gibt es keine – was zugegebenermaßen im Oktober noch verschmerzbar ist. Nach Ende des Kulturhauptstadtjahres soll nun endlich die Sanierung des Hauses angegangen werden.

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Aufarbeitung dunkler Zeiten

Im Inneren widmete man sich indes der ebenso dringenden Sanierung der Welt. „Salz&Säulen/Inbox“ kreist um die Verständigung zwischen den Völkern und die Aufarbeitung dunkler Geschichtsperioden, beides ist oft durch Sprachlosigkeit gekennzeichnet.

Geschrieben haben die dem Stück zugrunde liegenden Texte Thiemo Strutzenberger, gebürtiger Oberösterreicher und seit Herbst fixes Ensemblemitglied des Burgtheaters, und Sidiki Yougbaré, Schauspieler, Regisseur und Autor aus Burkina Faso, im Rahmen einer zweiwöchigen Writers Residency im Februar 2023 in Bad Ischl.

Künstlerinnen und Künstler aus Europa und Afrika

Künstlerinnen und Künstler aus Europa und Afrika haben dann daraus das Stück erarbeitet, das Yougbaré gemeinsam mit Polina Solotowizki, einer aus Russland stammenden deutschen Regisseurin, inszeniert. Auf der Bühne versuchen sich zwei Schauspieler zu verständigen – schwarz und weiß, Europa und Afrika, deutsch- und französischsprachig.

Musik als universelle Sprache

Anfangs herrscht die bittere Erkenntnis, dass man mit rudimentären Sprachkenntnissen, mit Händen und Füßen zwar freundlich und humorvoll Banalitäten – „Bad Ischl“, „sehr schön“ – austauschen, komplexe Themen aber nur schwer besprechen kann. Viel leichter tun sich da die beiden – hervorragenden! – Musikerinnen auf der Bühne, deren Sprache viel universeller ist.

Letztlich findet man zusammen und zu der Conclusio: Packen wir es an, öffnen wir die Türen, auch jene des Saales. Am Schluss zieht das Publikum singend und klatschend um das Lehár-Theater und bekommt einen poetischen Appell zur Bewahrung unserer Erde mit auf den Weg. „Inbox/Salz&Säulen“ ist Teil des Projekts Deconfining – ein mehrjähriges Dialogformat, das Brücken für einen nachhaltigen und fairen interkontinentalen Kulturaustausch errichten will.

13 Bühnenproduktionen

Im Rahmen des von Alexander Charim kuratierten Festivals sind insgesamt 13 Bühnenproduktionen zu sehen, darunter zwei Uraufführungen. Nach „Inbox/Salz&Säulen“ wird auch „De(con)fining“ von Kathrine Nedrejord und Salimata Togora – eine Koproduktion von Bodø 2024 (Norwegen) und Festival sur le Niger (Mali) – erstmals aufgeführt. Weitere Schwerpunkte widmen sich Friederike Mayröcker und Stefan Zweig.

Zweig war auch gleich zu Beginn des Festivals präsent: Mavie Hörbiger stellte in einer Lesung unter dem Titel „Das denkende Herz“ seine Texte jenen des israelischen Schriftstellers David Grossmann gegenüber – beide Juden, beide Pazifisten, beide Intellektuelle.

Gegenüberstellung zweier jüdischer Schriftsteller

David Grossmann, diesjähriger Ehrenpreisträger des Österreichischen Buchhandels, der sich seit Jahrzehnten für eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt, wagte es auch einmal, die Welt als Israeli durch die Augen eines Palästinensers zu sehen.

Und Stefan Zweig, der vor dem Nationalsozialismus ins Exil floh, seziert in „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ die psychologischen Mechanismen und politischen Fehlkalkulationen, die den Aufstieg und die barbarische Aggression Hitlers ermöglichten. Ein überraschend aktueller Text, der Elisabeth Schweeger zur Diagnose bringt, dass die heutige Gesellschaft vermutlich unter Amnesie leide.