Das Albertina-Palais wurde unter Schröder aufwendig restauriert respektive in seiner Ausstattung teils auch rekonstruiert. Zugleich wurde dem historischen Bau mit dem neuen Aufgang Hans Holleins inklusive dem Flugdach ein modernes Rufzeichen vorangestellt. Sponsoren und Mäzene haben für Renovierung und bauliche Erweiterungen der Albertina unter Schröders Ägide insgesamt über 85 Mio. Euro gespendet. Vor allem aber wuchs die Albertina auch räumlich, kamen zum Haupthaus hinter der Oper doch 2020 die Albertina modern im Künstlerhaus für Kunst nach 1945 und heuer die Albertina Klosterneuburg im einstigen Essl Museum hinzu.
Anlässlich seines Abschieds von der Albertina sprach der Herr hinter der Metamorphose des Museums mit der APA über die Albertina als großes Instrument, auf dem nun jemand anderes spielen wird, die Frage, was ihn mehr befriedigt als 600.000 Zuschauer bei einer Ausstellung, darüber, warum ein Fürst nicht am Rad sitzt und die Tätigkeit zu der er die Politiker der Stadtregierung verpflichten würde.
APA: Es wird für Sie in absehbarer Zukunft einen Tag 1 ohne die Albertina geben. Wie schwer fällt es Ihnen, das eigene Vermächtnis loszulassen?
Klaus Albrecht Schröder: Ich bin ein Mensch, der mit Dankbarkeit zurück und nach vorne blickt. Mit Dankbarkeit für ein glückliches Leben, das ich hier führen durfte. Ich habe hier eine Orgel geschaffen, die mein Nachfolger Ralph Gleis nun mit anderen Stücken auf seine Weise bespielen kann. Das Instrument selbst bleibt ja bestehen.
APA: Das bedeutet, Sie müssen sich keine Phase des Albertina-Detoxing auferlegen?
Schröder: Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich – anders als manche Berufskollegen – nicht im Zorn aus meinem Haus scheide, sondern mit der Albertina eng verbunden bleibe. Ich erhoffe mir Respekt als ehemaliger Generaldirektor, aber ich übergebe das Haus mit Freude und werde die künftigen Ausstellungen so wie Millionen andere Besucher genießen.
APA: Ralph Gleis tritt sein Amt am 1. Jänner 2025 an. Wie weit im Voraus ist das Ausstellungsprogramm noch durch Sie fixiert?
Schröder: Mein Nachfolger wurde bereits vor eineinhalb Jahren designiert, was die Gefahr mit sich hätte bringen können, dass ich den Rest meiner Amtszeit eine Lame Duck gewesen wäre. Das war nicht der Fall, wie etwa die Eröffnung der Albertina Klosterneuburg zeigt. Die frühe Berufung hat Ralph Gleis aber ermöglicht, vom Moment seines Amtsantritts an das Ausstellungsprogramm zu verantworten.
APA: Die Albertina von heute hat nur mehr wenig mit der Albertina von einst zu tun. Entspricht dies Ihrer Vision bei Amtsantritt oder war dies eher die Folge eines evolutionären Prozesses?
Schröder: Es wäre mir unmöglich gewesen vorauszusehen, dass wir die Besucherzahlen von 15.000 auf weit über eine Million steigern würden, dass wir heute über drei Standorte mit einer Ausstellungsfläche von 15.000 statt früher 200 Quadratmetern verfügen und vier neue Sammlungen gegründet werden konnten. Darunter auch erstmals eine permanente Schausammlung mit zentralen Werken der Moderne und eine Sammlung der Gegenwartskunst, die weltweit zu den großen gehört. Für diese Gründungen neuer Sammlungen konnte ich bereits 1999 mit der Fotosammlung einen Grundstein für eine Diversifikationsstrategie legen. Sie resultiert aus meiner neuen Präsentationsdoktrin, die von der Unteilbarkeit des Künstlerischen ausgeht und Zeichnungen und Druckgrafiken nicht mehr willkürlich von anderen Gattungen trennt, sondern sie gemeinsam mit Gemälden und Skulpturen präsentiert.
APA: Ein weiteres Charakteristikum unter Ihrer Ägide war die räumliche Expansion, dank derer neben der Albertina nun auch die Albertina modern und die Albertina Klosterneuburg stehen. Hat in Ihren Augen das Haus damit seine größte Ausdehnung erreicht?
Schröder: Nein, das sehe ich nicht so. Ich hatte ja darüber hinaus auch internationale Standorte angedacht, für die mir dann, nachdem klar war, dass ich mich nicht mehr um eine Vertragsverlängerung bewerbe, der lange Atem gefehlt hat. Aber ich habe aus diesem Palais, das ja nicht als Museum errichtet worden war, räumlich alles herausgeholt, was möglich war, um in diesem restaurierten hochherrschaftlichen Bau zugleich ein modernes Museum zu etablieren. Es war deshalb klar, dass zum gegebenen Zeitpunkt die Albertina modern oder zuletzt die Albertina Klosterneuburg folgen mussten, um der Bedeutung und dem Umfang der neuen Sammlungen für Kunst der Gegenwart gerecht werden zu können.
APA: Ist dieser Ansatz auch der Schlüssel, um Sammler an die Albertina zu binden?
Schröder: Man muss Sammlern schon garantieren können, dass Hunderttausende ihre Werke sehen. Die Kulturpolitik versteht das mitunter nicht und baut Museen maximal für den Status quo, ohne Aussicht auf zukünftiges Wachstum, auf Erweiterung. So zieht man keine Sammler an. Wir haben uns stattdessen etwa mit der Sammlung Batliner gegen internationale Mitbewerber durchgesetzt, weil wir rechtzeitig den Raum für sie geschaffen haben.
APA: Die Sammlung Batliner ist eine Dauerleihgabe. Gibt es hier oder bei anderen der Sammlungen Klauseln, die an Ihre Person gebunden sind?
Schröder: Nein, dieser Verdacht war immer unbegründet. Auch der Vorwurf, dass das Museum als Leihnehmer lediglich der Steigerung des Marktwertes der Werke diene, geht völlig ins Leere. Diese kleingeistige Neidvorstellung gibt es nur in Österreich. In der Schweiz sind oft bis zu 80 Prozent der Bestände in den Museen Stiftungen zuzurechnen, ohne dass dies eine Debatte wie hier auslöst.
APA: Sie waren stets das Gesicht der Albertina nach außen hin. Haben Sie den Eindruck, dass die Ära, in der markante Persönlichkeiten ein Museum geprägt haben, an ihr Ende kommt? Schlägt nun die Stunde der Verwalter?
Schröder: Nein, das glaube ich nicht. Ich habe mich zwar nie um die Prominenz gerissen, es war mir eher unangenehm, potenziell immer unter Beobachtung zu stehen. Aber man steht natürlich für das berühmte Haus. Dabei habe ich mich bis auf ein Jahr des Ausprobierens auf Facebook niemals auf Social-Media-Kanälen bewegt. Das ist vielleicht meinem Alter geschuldet, obwohl ich mich ansonsten gern dem Puls der Zeit öffne. Aber es ist nicht meine Welt, wenn ich mit einem Ausstellungshinweis fünf Likes bekomme, mit einem Foto meines Hundes aber 5.000. Das mag mein Nachfolger vielleicht anders leben.
APA: Wenn Sie selbst den Blick zurück auf das vergangene Vierteljahrhundert werfen: Was war Ihnen das Wichtigste in dieser Phase Ihrer Karriere?
Schröder: Natürlich denken viele an die großen Ausstellungserfolge mit Hunderttausenden Besuchern. Aber das sind flüchtige Ereignisse. Was bleibt, zählt viel mehr: die Erweiterung der Sammlungen, die neuen Standorte, die Renovierung und Wiederausstattung der Prunkräume. Das sehe ich mit großer Zufriedenheit, obwohl ich wirklich davor gefeit bin, Monarchist zu sein. Der Demokrat und überzeugte Republikaner Schröder konnte unverkrampft dieses Palais als Erinnerungsort der Geschichte revitalisieren. Das befriedigt mich mehr als 600.000 Besucher bei Van Gogh.
APA: Entsprang diese Liebe zum Detail bei der Revitalisierung des Palais einer Habsburger-Nostalgie?
Schröder: Niemals! Ich kann unglaublich nostalgisch, auch sentimental sein. Aber den von Mäzenen mit Millionen Euro finanzierten Rückkauf jenes Mobiliars, das Erzherzog Friedrich nach dem Ende der Monarchie mitnehmen durfte, konnte ich deshalb initiieren, weil ich als Historiker die Distanz zu dieser Zeit, zur Herrschaft der Habsburger hatte. Dieser Ansatz täte Österreich insgesamt gut. Wenn sie in England in eines der Landschlösser fahren, tauchen sie in die Zeit ein, in der dieses Haus errichtet und ausgestattet wurde. Bei uns ist man hingegen stolz darauf, dass man ein Mozart- oder ein Schubert-Museum clean wie einen Operationssaal gestaltet: Ohne Atmosphäre, kein Genius Loci, der sich überträgt. Das wollte ich in der Albertina anders machen, und das ist so gelungen wie der expressive Aufgang von Hans Hollein als Aufbruch in die Moderne, als Symbol der Öffnung des Museums zur Stadt hin, statt einfach zwölf Meter über der Stadt zu thronen. Ich bin stolz, dass wir die sehr große Orgel der Albertina als Instrument schaffen und hinterlassen konnten. Mich interessiert weniger, was wir in den letzten 25 Jahren darauf gespielt haben.
APA: Ein Feld, das Sie indes nicht bespielt haben, war das der Kulturpolitik – ungeachtet dessen, dass Sie nie zurückgeschreckt sind, sich in gesellschaftspolitische Debatten einzubringen. Weshalb kam es nie dazu?
Schröder: Es gab zweimal das Angebot dazu, etwa 1999 unter Kanzler Viktor Klima (SPÖ) als Bildungs- und Unterrichtsminister in die Regierung zu gehen. Aber es war damals von vornherein klar, dass diese Regierung bald Geschichte sein würde. Und ich hatte nie den Impetus wie andere, verkünden zu können, drei Monate lang Minister gewesen zu sein. Richtig ist, dass ich ein kulturpolitisch sehr interessierter Mensch war und bin.
APA: Bedeutet dies, dass eine etwaige schwarz-rot-pinke Regierung bei Ihnen auch heute noch auf ein offenes Ohr treffen würde?
Schröder: Jetzt sind Sie naiv. Diese Regierung wird mutmaßlich größer als die jetzige ausfallen, um alle personellen Interessen von drei Partnern zu befriedigen. Da ist kein Platz für einen parteilosen Fachmann.
APA: Ist in Österreich – unabhängig von Ihrer Person – ein eigenständiges Kulturministerium vonnöten?
Schröder: Nein, im Gegenteil. Anders als viele meiner Kollegen bin ich nicht der Ansicht, dass ich einen Kulturminister oder eine -ministerin benötige, um mich als Museumsdirektor geschmeichelt zu fühlen. Die besten Zeiten waren jene, als die Kultur bei der Bildung und damit an einem großen Ressort angedockt war, in dem budgetär an viel größeren Rädern gedreht wird. Dies ist wichtiger als ein Kulturminister oder eine -ministerin, die sich bei Eröffnungen und Einweihungen an mehr oder minder gekonnten Reden versucht.
APA: Zum Abschluss eine vielleicht überraschende Frage: Sie sind passionierter Radfahrer. Eine Karriere als Werbetestimonial für das Velo reizt Sie nicht?
Schröder: Da treffen Sie bei mir auf offene Ohren! Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad, auch wenn ich einen Smoking trage und zu einem Empfang unterwegs bin. Man ist viel schneller als mit dem Auto – trotz der mangelnden Fahrradinfrastruktur. Ich würde gern Politiker der Stadtregierung dazu verpflichten, zwei Tage in der Woche mit dem Rad zu fahren! Und der Punkt des Fahrradfahrens demoliert nebenbei bemerkt das blöde Vorurteil, ich wäre ein Fürst – nur weil ich in einem Palais sitze. Das habe ich demokratisch für alle Menschen erschlossen. Auch mein Führungsstil und der Umgang mit den Mitarbeitern ist alles andere als fürstlich. Das Bild des Fahrradfahrers passt zum Klischee des Fürsten nicht.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)