Kann man diesem Lächeln widerstehen? James McAvoy darf sich im bitterbösen Thriller „Speak No Evil“ so richtig ins Zeug legen und all seine physische Präsenz auf die Leinwand bringen. Der schottische Hollywoodstar glänzt im US-Remake des gleichnamigen dänischen Films aus dem Jahr 2022 als charismatischer, aber äußerst zwielichtiger Familienvater, dessen Einladung zum gemeinsamen Wochenende im Landhaus man sich gut überlegen sollte.
Für die Daltons läuft es nicht rund: Gerade erst nach London gezogen, steht die US-amerikanische Familie vor einer ungewissen Zukunft, hat Vater Ben (Scoot McNairy) doch jüngst seinen Job verloren und Mutter Louise (Mackenzie Davis) ihre Karriere vorerst auf Eis gelegt.
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Ein Italien-Urlaub soll die Stimmung auch bei Töchterchen Agnes (Alix West Lefler) heben – was spätestens dann gelingt, als sie auf den vor Lebenslust nur so sprühenden Briten Paddy (McAvoy) treffen, der mit Gattin Ciara (Aisling Franciosi) und Sohn Ant (Dan Hough) ebenfalls das Dolce Vita genießt und mit seiner ansteckenden Scheiß-drauf-Attitüde den Daltons den Kopf verdreht.
Eine Idylle wird brüchig
Ein paar gemeinsame Tage später ist man sich einig: Diese schöne Zeit muss wiederholt werden! Also geht es für die umweltbewusste US-Familie im Elektroauto zur abgelegenen Farm in Großbritannien, wo nicht nur unterschiedliche Weltanschauungen aufeinandertreffen, sondern auch schnell Brüche in der vermeintlichen Idylle sichtbar werden.
Einerseits ist da natürlich der stumme Ant, der Paddy zufolge an einer angeborenen Krankheit leidet und daher nur schwer kommunizieren könne. Dennoch scheint der Bub die Gastfamilie mehrfach vor etwas warnen zu wollen. Der hemdsärmelige Paddy geht unterdessen bewusst auf Tuchfühlung mit den Daltons, lässt quasi keine Gelegenheit zur Nähe aus und zwingt sogar Vegetarierin Louise zum „Fleischgenuss“.
Wanderungen über unberührte Felder, Schwimmen im glasklaren Waldsee, eine kleine Pflanzen- und Kräuterkunde zwischendurch: All das rückt in den Hintergrund, als Paddy zunehmend aufdringlicher agiert und trotz seiner langen, von Partnerin Ciara ehrfürchtig gelauschten Monologe über ein besseres, weil einfacheres Leben ein beinahe zwanghaftes Verhalten an den Tag legt.
Eskalation unausweichlich
Aufkeimende Kritik erstickt er eloquent im Keim mit Verweis auf die Verfehlungen der jeweils anderen. Doch irgendwann ist der Bogen überspannt und allen voran Louise kann sich das Verhalten ihres Gastgebers nicht mehr schlüssig erklären. Nur so einfach lässt sich dieser Wochenendtrip offenbar nicht beenden. Dass es zur Eskalation kommt, scheint unausweichlich, vor allem weil Agnes sukzessive hinter das Geheimnis von Ants Zurückhaltung kommt …
Talent für durchtriebene Charaktere
Es ist ein fieser Terror hinter charmanter Fassade, den Regisseur und Drehbuchautor James Watkins für seinen Star nach der Originalvorlage von Christian Tafdrup gezimmert hat. Tatsächlich lebt „Speak No Evil“ maßgeblich von der aufopfernden Leistung McAvoys, der schon in M. Night Shyamalans Horrorfilmen „Split“ und „Glass“ sein Talent für durchtriebene Charaktere bewiesen hat. Diesmal lässt er im Holzfällerhemd seine Muskeln spielen, beherrscht seine Szenen beinahe übermächtig und drängt das restliche Ensemble im wahrsten Sinne des Wortes an die Wand.
Kurzweiliger Horrortrip
Allerdings, und hier liegt das große Manko dieses Remakes, rückt „Speak No Evil“ im letzten Drittel von seinem dänischen Vorbild ab, das in Sachen misanthroper Grundstimmung in der jüngsten Kinovergangenheit seinesgleichen sucht. Stattdessen geht Watkins in der Blumhouse-Produktion auf Nummer sicher und scheint das mittlerweile recht abgebrühte Mainstreampublikum nicht über Gebühr fordern zu wollen. Das Endergebnis ist ein vor allem schauspielerisch kurzweiliger Horrortrip, dessen gesellschaftliches Diskurspotenzial leider auf der Strecke bleibt.
Von Christoph Griessner