Leer bis auf eine riesige graue überdimensionale Steinwelle, die auf der Drehbühne heranrollt, einer Art Scate-Tunnel gleicht, einem Monument aus Urzeiten und gleichzeitig wie ein Stargate ein Portal in neue Dimensionen bildet, so gestaltet sich die Szene auf der Bühne im Schauspielhaus.
Im Verlauf der 80 Uraufführungsminuten entquellen ihr die fünfzehn Akteure der TANZ LINZ Kompanie wie einem Geburtszentrum und sammeln sich dort wieder auf ihrer überdimensionalen Reise der Erinnerung zum Aufbruch in neue Welten. Die Tänzer:innen verschmelzen mit ihren an aufgesprungene Lehmkrusten angelehnten grauen Kostümen zu einer Einheit mit der Skulptur, die beide von Bühnenbildnerin Gabriela Neubauer äußerst eindrucksvoll gestaltet wurden.
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Zur Musik von John Luther Adams zeichnet der polnische Choreograf Maciej Kuzminski zu Beginn seiner Inszenierung von „Memoryhouse“ ein wüstenähnliches Szenario, das den Aufbruch der Menschheit und gleichzeitig auch ihren Untergang in Form von Erinnerungen skizziert. Dafür mussten die Akteure ihre Kindheitserinnerungen notieren und im Tanzstück ausdrücken. Kuzminski arbeitet dabei mit seiner Bewegungsmethode „Dynamic Phrasing“, die der Tanzkompanie eine höchst individuelle Darstellung und improvisierte Bewegungsbläufe ermöglicht.
Angelehnt an die Göttermythologie, etwa der drei Schicksalsgöttinen und jener des Sisyphus, die sich auch im Deckenfresko des Schauspielhauses von Fritz Fröhlich widerspiegeln, lassen Kuzminski und Dramaturg Paul Bargetto zum Rauschen von Meereswellen und Gewitterstürmen die fesselnde Choreografie sich entfalten.
Die Musik von Philip Glass aus dem Film „Koyaanisqatsi“ und die geniale visuelle Lichtgestaltung bilden den spannenden Hintergrund für die Tänzer:innen, die ohne Ermüdungserscheinungen voller Dynamik, Kraft, Konzentration und höchster Körperbeherrschung das Premierenpublikum in den Bann dieser zu tiefst anspruchsvollen Inszenierung ziehen.
Kuzminski schafft kraftvolle Männerduos, weiblich-männliche Dreier, Vierer und Fünfer tummeln sich auf androgyne Weise in abenteuerlichen Schrägen und horizontalen Lagen. Die durchwegs exzellenten Akteure wie etwa Angelica Mattiazzi und Hinako Taira als Solisten, stürzen sich mit Mut und Risiko auf und in die Betonröhre.
Stets präzise mit vollem Körperkontakt auf der individuellen Formensuche und tänzerischen Gestaltung der Erinnerung der Menschheit auf ihrem Weg von der Vergangenheit in die Zukunft, gleich einem Ariadnefaden, hier aber nicht für Theseus, sondern für das Publikum.
Mit einem Hoffnung verheißenden Aufbruch in neue Dimensionen, der die Klimakrise, Pandemien und Kriege überwindet, endet die Uraufführung schließlich zu Max Richters Musik aus dem Spielfilm „Ad Astra“. Es ist dies die sechste gemeinsame Produktion von Maciej Kuzminski und seinem Dramaturgen Paul Bargetto, die das Linzer Publikum mit lang anhaltendem, frenetischem Applaus feiert.
Von Barbara Duftschmid