Stefanie Reinsperger ist zurück. Seit dieser Saison ist die gebürtige Badenerin wieder Ensemblemitglied des Burgtheater. Am Freitag feiert sie ihre erste Premiere – als Liliom, ein Mann, der seine Frau schlägt und sich bei einem Überfall durch Selbstmord der Verhaftung entzieht. Ein Gespräch über frühere Triumphe und schwierige Aufgaben, über Film und Theater, Sisi und Maria Theresia, über Femizide und Menschen, die autoritäre Politiker wählen.
APA: Frau Reinsperger, wissen Sie, was Sie am 6. September 2014 gemacht haben?
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Stefanie Reinsperger (überlegt nur kurz): „Die lächerliche Finsternis“ gespielt?
APA: Gewonnen! Das war einer der Theatermomente, die man nie vergisst. Als Sie damals im Akademietheater den skurrilen Empörungsmonolog des Absolventen der Piraterie-Hochschule Mogadischu gespielt haben, wusste jeder im Saal: Das wird ganz groß! Zufrieden mit dem, was sich in den zehn Jahren und zwei Monaten danach bei Ihnen getan hat?
Reinsperger (lacht): Ich bin ja so eine Rastlose, eine Ruhelose, die immer mehr will und alles aufsaugt wie ein Schwamm. Ich bin einfach wahnsinnig dankbar, dass ich diesen Beruf schon so lange so ausüben darf. Dass ich mit solchen Herausforderungen und Wagnissen konfrontiert werde, erfüllt mich nach wie vor mit sehr viel Glück.
APA: Die Produktion von Dušan David Pařízek hat Ihnen einige Preise gebracht. Hat damals alles gepasst?
Reinsperger: Dass alles passt, gibt’s bei mir gar nicht. Jedes Mal, wenn ich abgehe von der Bühne, ärgere ich mich. Ich hab dieses klassisches Gefühl: „Not good enough!“ An die Premiere selbst kann ich mich gar nicht so sehr erinnern, denn ich dachte, mein Herz wird gleich in die erste Reihe plumpsen, so sehr hat es gepumpert. Aber Pařízek ist nach wie vor ein Regisseur, der mir sehr nahe ist und dem ich sehr vertraue.
„Ich kann’s ja eh nicht zurückdrehen.“
APA: Sie haben tatsächlich viel ausprobiert in diesem vergangenen Jahrzehnt. Gibt es auch etwas, das Sie im Rückblick lieber gelassen hätten?
Reinsperger: Eigentlich nicht, weil einen jede Erfahrung weiterbringt. Natürlich habe ich auch Produktionen gemacht, die mich dann nicht so erfüllt haben, aber meist habe ich auch dort Begegnungen machen können mit Menschen, die mich weiter begleiten. Man ist ja die Summe seines Erlebten. Ich kann’s ja eh nicht zurückdrehen.
APA: Also würden Sie auch den Salzburger „Jedermann“ rückblickend nicht lieber streichen?
Reinsperger: Absolut nicht – sonst hätte ich mein Buch nicht geschrieben („Ganz schön wütend“, 2022, Anm.), sonst wäre ich nicht die einzige Buhlschaft mit zwei Jedermännern, was ja auch ein bisschen cool ist, weil sonst ist es immer andersrum. Natürlich gab es da manche Begegnungen, die hart waren, aber das hat mich zum Glück auch eher wachsen lassen als vertrocknen (lacht).
APA: Ich habe damals geschrieben: Man fragt sich, wie Stefanie Reinsperger den Jedermann interpretieren würde – nun spielen Sie den Liliom. Ist das mehr eine logische Entwicklung in Ihrer persönlichen Entwicklung oder in der Entwicklung der Gesellschaft?
Reinsperger: Das ist eine interessante Frage, denn ich habe tatsächlich in den vergangenen acht Jahren in Berlin mehr männliche Rollen gespielt als die klassisch weiblich gelesenen. Dennoch habe ich, als ich den Anruf aus Wien bekam, ob ich nicht Lust hätte, als meine erste Rolle zurück an der Burg den Liliom zu spielen, mir gedacht: „Wait a minute!“ Aber diese Besetzungen erwachsen aus einer künstlerischen Fantasie und Neugier: Wo geht am meisten die Kreativität los bei einer Besetzung?
APA: Aber ist Liliom nicht ein prototypischer Macho, der immer wieder hinhaut und darauf baut, dass ihm aufgrund seiner weichen Seiten dann vieles verziehen wird?
Reinsperger: Ja, so ist es geschrieben. Sie werden überrascht sein, wie es inszeniert wird. Das Tolle an der Arbeit in Verbund mit diesem fantastischen Ensemble ist, dass wir sehr versuchen, diese Charaktere im Hier und Heute zu verankern. Natürlich bedeutet die Tatsache, dass ich eine Frau bin und mit ihren Kolleginnen in diesen schrecklichen, monströsen, toxischen Beziehungen steht, etwas anderes in der Suche, wie man körperlich miteinander umgeht. Das ist ein totaler Gewinn. Runtergebrochen ist es eine ganz wahnsinnige, schlimme Liebesgeschichte, die an allen Ecken und Enden scheitert.
Ich würde diesen Liliom als Steffi so gerne nehmen und sagen: „Oida, bist Du deppat?“ Er wiederholt seine Fehler ja immer wieder. Das heute zu erzählen ist wahnsinnig wichtig. Wenn ich zu den Proben gehe, komme ich jeden Tag bei der Ausstellung über häusliche Gewalt und Femizide am Ring vorbei. Auch wir nehmen uns dieses Themas an und versuchen das in aller Drastik zu erzählen. Mein Lieblingssatz aus dem Stück ist: „Es kann auch sein, dass aus einem Unmenschen einmal ein Mensch wird!“ Das interessiert mich. Ich glaube, dass er diese Sehnsucht in sich hat, denn ich glaube nicht, dass ein Mensch von sich aus böse ist.
„Er ist ein Arschloch – da geht kein Weg daran vorbei.“
APA: Tut man sich bei so einer Figur schwer, Ansätze zu finden, damit sie nicht als Arschloch rüberkommt?
Reinsperger: Er ist ein Arschloch. Das ist er – da geht kein Weg daran vorbei. Es ist auch schwerer als sonst, die Figur nachher dort zu lassen, wo sie hingehört – nämlich in der Garderobe. Spielerisch ist es natürlich besonders interessant, denn ich möchte es weder dem Publikum noch meinen Partner:innen auf der Bühne leicht machen – und am allerwenigsten mir. Man muss natürlich versuchen, Ansätze zu finden, die erklären, warum sich die Frauen in so jemanden verlieben können. Es ist ein Wechselbad – passend zum Thema Achterbahn (lacht).
APA: „Liliom“ ist Ihre erste Produktion wieder zurück in Wien. Ist es eine Heimkehr?
Reinsperger: Ja, das dachte ich auch, und dann hab ich am ersten Probentag verzweifelt beim Pförtner fragen müssen, wo die Garderoben sind. Und er: „Steffi, ist das Dein Ernst?“ Ich war völlig fertig, dass der überhaupt noch meinen Namen gewusst hat, denn ich hab hier damals ja nur drei Produktionen gespielt – und zwei davon waren im Akademietheater. Aber es ist ein schönes Wiederandocken, ja! Es ist halt Wien! Ich geh‘ hierher und bin sehr glücklich (strahlt).
APA: Wien-Heimkehrer Joachim Meyerhoff sagt ja, er hat sich in Berlin nie wirklich wohl gefühlt. Sie waren acht Jahre am Berliner Ensemble …
Reinsperger: Das Berliner Ensemble ist schon ein ganz besonderes Haus, geschichtsträchtig. Nach dem „Liliom“ spiele ich dort wieder zwei Vorstellungen, und auch darauf freue ich mich unglaublich. Auch ich würde sagen, dass ich in der Stadt nie wirklich angekommen bin. Umso dankbarer war ich, dass ich dieses Theater als mein Zuhause hatte. Ich spiele dort auch noch eine Premiere, die „Heilige Johanna der Schlachthöfe“, mit Dušan David Pařízek als Regisseur – was ein schöner Full-Circle-Moment ist.
APA: Am Burgtheater spielen Sie als nächstes „Elisabeth!“. In Robert Dornhelms Fernsehserie haben Sie auch schon Maria Theresia gespielt. Hat man diese beiden historischen Figuren gespielt, hat man es als Österreicherin wohl geschafft?
Reinsperger: (lacht) Ich freue mich wahnsinnig darauf, das ist eine Idee, die das Haus zusammen mit dieser tollen Regisseurin, Fritzi Wartenberg, hatte, und dann ging es darum, wer den Text schreiben könnte. Ich bin eine große Bewunderin der Autorin Mareike Fallwickl und hab‘ sie vorgeschlagen. Ich bin gespannt, wie das wird. Diese Figur ist ja schier unerschöpflich. Man kann dieses Leben und diese Frau stellvertretend für vieles nehmen, das auch heute gilt. Obwohl es so lange her ist, hat sich noch immer zu wenig bewegt.
„Beim Film macht alles der Schnitt.“
APA: Sie sind zuletzt viel im Kino und im Fernsehen zu sehen gewesen – auch in Rollen, in denen Sie unterfordert wirkten.
Reinsperger: Ich hab‘ die letzten eineinhalb Jahre fast nur gedreht. Ich wollte das mal ausprobieren. Ich hab‘ gemerkt: Beim Drehen fühle ich mich wie eine Materialansammlerin, und ich selber habe mit dem Endprodukt kaum etwas zu tun. Wenn ich das dann sehe, fühle ich mich ganz weit weg. Ich entscheide ja nicht einmal den Bogen meiner Figur oder den Rhythmus einer Szene, denn das macht beim Film alles der Schnitt. Deswegen liebe ich die Verantwortung und das Risiko am Theater. Dort muss ich, wenn’s losgeht, in jeder Sekunde bar zahlen.
APA: Auch in den Salzburger Landkrimis sind sie zu sehen, und im Dortmunder „Tatort“ als Kommissarin …
Reinsperger: Ich würde wahnsinnig gern weniger Krimis drehen, aber das hat die höchsten Einschaltquoten. Wir haben einmal einen Versuch gewagt und wollten etwas anderes machen, „Die Großstadtförsterin“, das sollte eine Serie werden, über Naturschutz und so. Das wurde nach einer Folge abgesetzt, weil das niemand sehen wollte. Eine meiner allerintensivsten Dreherfahrungen war mit Chris Kraus, „15 Jahre“. Wollte auch niemand sehen. Jetzt hab ich aber eine große Theater-Rutsche vor mir, auf die ich mich sehr freue, bevor ich im April wieder drehe.
APA: Was kommt dann?
Reinsperger: Da drehe ich wieder „Tatort“, und Ende des Jahres werde ich mit dem Regisseur Friedrich Tiedtke ein eigenes Drehbuch verfilmen. Es geht um eine Pflegerin, die aufpassen muss, dass sie sich nicht selbst aufgibt und das große Glück hat, von den älteren Menschen ganz viel zu lernen.
APA: Kommen wir zum Schluss zurück zum „Liliom“. Femizide sind heute fast Alltag, machistische und autoritäre Kräfte sind politisch wieder auf der Überholspur. Wie geht es Ihnen mit dem Gefühl, dass gesellschaftlich derzeit alles in die falsche Richtung geht?
Reinsperger: Als Privatperson überfordert mich das und macht mir große Angst. Es sind ja viele Menschen, die diese Politiker wählen und sich für eine gewisse Richtung entscheiden. Was mir Sorge macht: Früher hab ich gedacht, das ist alles weit weg von mir. Aber jetzt sind das zu viele, die dazu ja sagen. Ich selbst brauche es, mich an Menschen zu halten, die Gutes tun. Die sind aber meist so viel leiser. Weil sie es nicht nötig haben, laut zu sein.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
ZUR PERSON: Stefanie Reinsperger, geboren 1988 in Baden bei Wien, Schauspielausbildung am Max Reinhardt Seminar. Engagements am Schauspielhaus Düsseldorf, Burgtheater, Volkstheater Wien, seit 2017 am Berliner Ensemble und seit dieser Saison wieder am Burgtheater. 2017 und 2018 spielte sie die „Jedermann“-Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen, seit 2022 den Frosch in der „Fledermaus“ an der Wiener Volksoper. 2022 erschien ihr Buch „Ganz schön wütend“. Viele Rollen für Film und Fernsehen, u.a. ist sie seit 2020 die Hauptkommissarin Rosa Herzog im Dortmunder „Tatort“.
„Liliom“ von Ferenc Molnár in einer Neuübersetzung von Terézia Mora, Regie und Bühne: Philipp Stölzl, Bühnenbild-Mitarbeit: Franziska Harm, Kostüme: Kathi Maurer, Musik: Ingo Ludwig Frenzel. Mit: Stefanie Reinsperger, Maresi Riegner, Franziska Hackl, Zeynep Buraç, Franziska Hackl, Sebastian Wendelin, Dunja Sowinetz, Norman Hacker, Tilman Tuppy, Stefko Hanushevsky, Robert Reinagl und Fabia Matuschek. Premiere im Burgtheater: 6.12., 19.30 Uhr. Nächste Vorstellungen: 8., 18., 25.12.; www.burgtheater.at