Stifters zerrissene Liebe und die Elektrohand Gottes

Posthof: Philipp Hochmair und die Elektrohand Gottes: „Der Hagestolz“ von Adalbert Stifter

„Hagestolz“ ist eine Bezeichnung für einen unverheiratet gebliebenen Mann und hat nichts mit Stolz oder Genialität zu tun, die man sowohl Adalbert Stifter als auch Philipp Hochmair bescheinigen möchte.

„Stifter, wo bist Du“, ruft Hochmair am Freitag laut durch den Großen Saal im Posthof. Den Ruf verstärken Hall, Echo, Schlagzeug und Stromgitarre. Die Band „Elektrohand Gottes“ kracht in die Bedächtigkeit Adalbert Stifters, wirbelt elektronisch in seinen weitschweifigen Landschaftsbeschreibungen und biedermeierlichen Menschenbildern.

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Adalbert Stifter betrachtet in seiner 1844 entstandenen Erzählung „Der Hagestolz“ die äußere und innere Isolation eines alten Mannes, „dem das Herz in Wehmut schwimmt“.  Ihm fehlen familiäre Bindungen und schließlich auch Nachkommen. Sein Neffe Victor besucht ihn auf seiner einsamen Insel in einem Bergsee. Der Junge, der sein Leben noch vor sich hat, steht dem Alten gegenüber, dem nichts als der melancholische Blick auf ein Leben blieb, das er nicht fortgepflanzt hat. Die Begegnung der beiden Männer verläuft zunächst emotionslos, bald aber fühlt sich Victor auf der Insel wie ein Gefangener des stillen, abweisenden Onkels, ein Zustand, den er aber „durch Duldung austrotzen“ will.

In den Geschichten von gestern schimmern Fragen von heute durch

Kurz vor Victors Abreise, bekennt der Oheim seine unglückliche Liebschaft, die schließlich die beiden tief verbindet. Wenn am Ende der Alte bitter erkennt, dass die Jugend für immer verloren bleibt, und er seine Sehnsucht, von Victor geliebt zu werden, gescheitert glaubt, vermacht er doch sein Vermögen dem Jungen, der es sich nun leisten kann, zu heiraten, um somit doch in einer Art Happy End Nachkommenschaft zu sichern.

Stifterische Zeitlupe prallt auf die elektronischen Beats von Fritz Rainer (Schlagzeug, Electronics) und Hanns Clasen (Sound- und Lichtdesign, Gitarre, Loops). Hochmair lässt in den Geschichten von gestern Fragen von heute durchschimmern, drückt sie elektronisch aus, oder brüllt sie selbst in die Welt. Er wiederholt, was ihm wichtig scheint, gibt einzelnen Sätzen ein Echo. Die ungebändigte Dynamik eines der besten deutschsprachigen Schauspieler macht aus Stifters Worten emotionsgeladene Bilder und lebendige Menschen.

Anarchische Elektro-Rock-Vertonung

„Mich gibt’s gar nicht, ich spüre mich am besten über die Literatur“, sagt er. Zum 50. Geburtstag schenkte er sich selbst den „Hagestolz“ in der anarchischen Elektro-Rock-Vertonung. Seit zehn Jahren steht er bereits mit seiner Band auf der Bühne, hat etwa Balladen von Schiller, Goethes „Werther“ und den legendären „Jedermann Reloaded“ inszeniert. Heuer gibt er den Jedermann der Salzburger Festspiele. Schon 2018 sprang er spontan für den erkrankten Tobias Moretti ein, und brillierte in der Rolle.

„Love Will Tear Us Apart“ resümiert er am Ende musikalisch über Alter, Tod, Freiheit und Liebe in einer Elektrosound-Orgie. Er hätte damit wohl Adalbert Stifter genauso begeistert wie das Publikum im Posthof.

Von Eva Hammer