Themen wie Sterben, Zweifeln an der modernen Welt, zerbrochene Träume und das Gefühl, allein zu sein, in wunderschöne Songs zu verpacken – wenn das jemandem gelingt, dann Robert Smith. Den Beweis erbringt der Brite mit dem 14. Studioalbum seiner Band The Cure, auf das Fans 16 Jahre warten mussten. Es hat sich gelohnt: Das am 1. November erscheinende „Songs Of A Lost World“ bietet epische Lieder in majestätischer Schwermut und reiht sich unter die besten Arbeiten der Band.
Immer wieder hatte Smith in den vergangenen Jahren von möglicher neuer Studiomusik gesprochen, stets blieb es bei mehr oder weniger vagen Ankündigungen. Wer den Meister des Gothic-Pop zuletzt bei Auftritten (wie etwa in Wien 2022 in der Marx Halle) erlebt hat, durfte Hoffnung hegen: Nicht nur überzeugten The Cure mit altem Material, sondern auch mit einigen neuen Songs, die Smith als Teil eines kommenden Tonträgers präsentierte. Ganz sicher konnte man sich allerdings nicht sein, ob er das Versprechen auch so bald hält.
Aber dann kam der Track „Alone“, bei Konzerten längst erprobt, als Vorbote von „Songs Of A Lost World“ heraus. Der schwermütige Song mit einer Länge von fast sieben Minuten verzückte Fans wie Kritiker. Der britische „Guardian“ fasste treffend zusammen: „Die Länge des Liedes ermöglicht den Aufbau einer langsamen und melancholischen Atmosphäre, die die Verzweiflung noch verstärkt.“
Eine Aussage, die auf viele Beiträge auf „Songs Of A Lost World“ zutrifft, die episch daherkommen, Hörer und Hörerinnen in ausufernden instrumentalen Passagen und melancholischen Melodien versinken lassen, bis Smith mit seiner Stimme den Weltschmerz zu nächsten Höhen treibt. „Wenn das Album fertig ist, wird es das beste, das wir je gemacht haben. Darum kann ich es mir nicht leisten, nicht meine besten Vocals abzuliefern“, hatte Smith 2020 dem britischen Magazin „Mojo“ gesagt. Es gehe dabei nicht um Töne, sondern um Emotionen. Mission: gelungen.
The Cure halten über das gesamte Album eine meditative Intensität aufrecht. Ebenfalls im Voraus veröffentlicht und beim Wien-Konzert seinerzeit auf der Setlist war „I Can Never Say Goodbye“, von Smith am Tag nach dem Tod seines Bruders geschrieben. Tiefe Trauer breitet sich über sechs Minuten aus. Weiter vorne auf der Tracklist des Albums oszilliert der Sound auf „And Nothing Is Forever“ zwischen Hoffnungslosem und doch irgendwie Träumerischem, auch hier geht es um den Tod, darum, „die Sterblichkeit zu akzeptieren und um die schreckliche Angst, die wir haben, allein zu sterben“, so Smith in einem Pressetext.
Die Cure’schen Abhandlungen über Trauer und die Frage in der Lebensrückschau, zu was man eigentlich geworden ist, könnten intensiver nicht sein. Es ist ein Album zum Versinken, Pophits wie „Friday I’m in Love“ würden hier nur stören. Innerhalb der dunkelgrauen Grundstimmung, die sich durch das Album zieht, ist durchaus Abwechslung enthalten. Der „wilde“ Gitarrenteppich im „Warsong“ etwa verstört, der Gesang pendelt zwischen Anklage und Verzweiflung.
„Drone:Nedrone“ wartet mit einer Art Goth-Techno-Sound auf, der Smiths Zorn über übergriffige Überwachung in der modernen Welt musikalisch umsetzt. Er sei hinter seinem Haus herumspaziert, erläutert Smith den Ausgangspunkt für diesen Song. „Eine Kameradrohne flog über mich hinweg … es hat mich beunruhigt, es hat mich sogar richtig sauer gemacht.“
Am Schluss steht der „Endsong“, mit mehr als zehn Minuten Dauer das längste und vielleicht intensivste Stück des Albums, das mit „Alone“ eine Art Handlungsklammer bildet. 2019 nahmen The Cure neue Musik auf und Smith wurde 60: „Ich war in jenem Sommer viel draußen, schaute nach oben und zurück und beklagte den Lauf der Zeit und das Älterwerden in einer immer zerbrochenen Welt“, erinnert er sich. „It’s all gone“, singt er zu jauchzenden Gitarren. „Left alone with nothing.“ Schöner lässt sich nicht klagen.
Auf der Cure-Webseite hat Smith ein 100-minütiges Interviewvideo veröffentlicht. Darin kündigte er seinen endgültigen Rückzug aus dem Musikbusiness an: „Ich werde 70 sein, wenn 2029 der 50. Jahrestag des ersten Cure-Albums ansteht. Und dann ist Schluss. Wenn ich es so weit schaffe, dann war’s das.“ Aber bis dahin darf man sich auf eine große Tour 2025 und weitere Alben freuen. Drei sollen es werden, eines davon sei so gut wie fertig, verspricht Smith (wieder einmal).
Zur Veröffentlichung von „Songs Of A Lost World“ – das Coverbild zeigt eine Skulptur von Janez Pirnat – geben The Cure am 1. November ein Konzert im Londoner Troxy. Es soll weltweit auf dem Youtube-Kanal von The Cure zu verfolgen sein.
(Von Wolfgang Hauptmann/APA)
thecure.com