„The Substance“: Die alte Frau, ein Monster

Glorreiche Demi Moore zwischen Hollywoodstar und Frankensteins Kreatur

Demi Moore will auch in ihrer Rolle keinesfalls alt aussehen. © Polyfilm

Triefende Körperhöhlen, glitschige Eingeweide und Margaret Qualley, die aus Demi Moores Rücken kriecht. „The Substance“ ist mit Abstand der bizarrste Film des Jahres. Ähnlich wie bei der titelgebenden Substanz ist es schwierig, den feministischen Horrorfilm allgemein zu empfehlen, ohne eine Reihe von Nebenwirkungen zu erwähnen (sehr viel Blut).

In einer Szene im neuen Film von Coralie Fargeat macht sich Demi Moores Figur für ein Date fertig und geht aus Angst, alt auszusehen, immer wieder zum Spiegel. Mehr Rouge, mehr Tusche, mehr Lidschatten. Abdecken, Ausbessern, Modellieren. Wiederholen. Es hilft alles nichts.

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Körperhorror bedeutet für eine Frau, eine Falte zu registrieren, und Fargeats Linse zoomt tief in die Gesichtswölbungen und Krähenfüße der Hollywoodschauspielerin hinein. Entmutigt wischt sie sich den roten Lippenstift ab. Sie wird an diesem Abend zu Hause bleiben.

Stylisher Film

Es ist einer der herzzerreißendsten Momente in einem stylishen Film voller Body-Splatter, gespielt von einer 61-jährigen Schauspielern, die – überspitzt formuliert – ihre eigene Geschichte nachspielt (es sei ihr ein besseres Schicksal vergönnt als ihrer Figur).

In den 90ern war sie einer der größten weiblichen Kinostars und Sexsymbol ihrer Zeit. Für eine Liebesnacht mit ihr blätterte Robert Redfords Milliardär in „Ein unmoralisches Angebot“ ein Vermögen hin. Aber in den vergangenen Jahren machte sie immer wieder wegen ihres jugendlichen Aussehens Schlagzeilen, fast so als hätte sie sich durch eine jüngere Variante ihrer selbst ersetzt. In „The Substance“ wird genau das behandelt, um etwas über die Rolle der Frau und die Angst und den Ekel vor dem Alter zu sagen.

Sie spielt Elisabeth Sparkle, eine schwindende Hollywoodschauspielerin, die zur Aerobictrainerin im Fernsehen wurde – sehr zum Leidwesen ihres Produzenten, gespielt von einem schleimigen Dennis Quaid („The Day After Tomorrow“), der sie gerne mit einem „jungen Hüpfer“ ersetzen würde.

Durch einen Zufall erfährt Elisabeth von einem Wundermittel, das eine Komplettverjüngung der etwas anderen Art verspricht. Sie zögert nicht lange. Sie spritzt sich das grüne Gift in den Arm, da platzt eine „bessere Version ihrer selbst“ wie die Kreatur in „Alien“ aus ihrem Rücken heraus.

Das ist Sue, gespielt von Margaret Qualley („Kinds of Kindness“), die ganz bewusst wie eine geile, männliche Teenagerfantasie aussieht. Es gibt nur eine Regel: Das junge Gegenstück darf nur sieben Tage am Stück auf der Erde wandeln – während Elisabeth im Grunde Winterschlaf hält – bevor sie wieder die Plätze tauschen.

Grand-Guignol-Finale

Aber Sue genießt die Aufmerksamkeit einfach zu sehr, während Demi Moores Figur im Zeitraffer zur alten Frau verschrumpelt. Das führt zu einem Grand-Guignol-Finale, das Fargeats Einflüssen, von Brian De Palma über David Cronenberg bis hin zu John Carpenter, alle Ehre macht.

Mehr Style als Substanz

Es schien eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, das legendäre Blutbad in ihrem Debütfilm „Revenge“ (2017) zu toppen, aber genau das tut die französische Regisseurin und Drehbuchautorin hier. „The Substance“, in Cannes mit dem Drehbuchpreis geadelt, hat ungeachtet seines Titels mehr Style als Substanz, aber es ist grotesker Body-Horror der Sonderklasse.

Der Film macht den gealterten weiblichen Körper monströs, und Demi Moore, die in ihre beste Kinorolle seit Jahrzehnten schlüpft, parodiert ihr öffentliches Image mit Verve. Um einen anderen, unvergesslichen, seelenverwandten Film aus den 90ern zu zitieren: der Tod steht ihr gut.