„The Village Next to Paradise“: Film lässt Raum zum Denken

Wer im Paradies lebt, hat keine Sorgen. Sollte man meinen. Vielleicht ist das „Paradise Village“, in dem Mamargade, seine Schwester Araweelo und sein Sohn Cigaal zu Hause sind, aber doch nur „The Village Next to Paradise“. So heißt jedenfalls der Film des somalisch-österreichischen Regisseurs Mo Harawe, der nach der Weltpremiere in Cannes jüngst bei der Viennale mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnet wurde. Am Freitag kommt das eindrucksvolle Debüt nun ins Kino.

Der 1992 in Mogadischu geborene Regisseur, der im Alter von 17 Jahren als Flüchtling nach Österreich kam und mittlerweile österreichischer Staatsbürger ist, hat sich als Autodidakt in der Kurzfilmszene einen Namen gemacht. Seine beiden 25- bzw. 28-minütigen Filme „Life on the Horn“ (2020) und „Will My Parents Come to See Mee“ (2022, im Jahr darauf bei den Österreichischen Filmpreisen als bester Kurzfilm ausgezeichnet) bedeuteten seinen internationalen Durchbruch samt Preisen und Festivaleinladungen. Seinem Stil ist er auch auf der Langstrecke treu geblieben.

Mo Harawe, der neben der Regie für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, gibt nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch den Zuschauern viel Raum. Er konzentriert sich auf einzelne, lange, wie Bilder komponierte Einstellungen, in denen die Bewegung nicht durch die Kamera (Mostafa El Kashef), sondern durch die Darsteller erfolgt. Auch die Dialoge sind karg. Was die Menschen ausmacht und sie verbindet, ihre Vorgeschichte, ihre Träume und ihre Konflikte, erschließt sich erst allmählich – durch Hinschauen und Mitdenken. Obwohl die Kamera ihnen nahe rückt, dringt sie nicht in ihre Intimsphäre ein. Der Film belässt seinen Figuren ihre Geheimnisse.

Die Beiläufigkeit, die durch die undramatische Erzählweise entsteht, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei diesem Ausschnitt aus dem Leben der kleinen Familie um viel, wenn nicht um alles geht. Der Alleinerzieher Mamargade (Ahmed Ali Farah) versucht, sich als Totengräber und Transportfahrer für zwielichtige Auftraggeber durchzuschlagen. Seine bei ihm wohnende Schwester (Anab Ahmed Ibrahim) zieht gerade ihre Scheidung durch und geht beträchtliche Risiken ein, um ihren Traum als selbstständige Schneiderin mit eigenem kleinen Shop zu verwirklichen. Sein kleiner Sohn (Ahmed Mohamud Saleban) ist ein fröhlicher, intelligenter Bub, der gefördert gehört. Als die örtliche Schule geschlossen wird, steht der Vater vor einer schwierigen Entscheidung: Soll er ihn gegen dessen Willen und gegen seine finanzielle Möglichkeiten ins Internat in der Stadt geben, um ihm eine Zukunft zu ermöglichen?

Alle Hauptdarsteller standen zum ersten Mal vor der Kamera und schaffen es spielend, eine große Nähe herzustellen. Keines dieser Schicksale lässt einen kalt. Gedreht wurde in Somalia. Der Film spielt in einem Küstenort dieses ostafrikanischen Landes, dessen weltweites Image als Failed State, in dem Gewalt herrscht, gleich den Vorspann dominiert. Ein englischsprachiger Nachrichtensender berichtet von einer Drohnenattacke, bei der angeblich ein Topterrorist getötet wurde. Drohnenangriffe zählen hier zum Alltag, ebenso das Dröhnen der Militärjets am Himmel. Die Tonspur ist expliziter als die Bilder, sogar die Einlieferung von Verletzten und Opfern eines Luftangriffs in einem Spital ist nur als Geräuschkulisse präsent, weil der Bub brav, wie dem Vater versprochen, seine Augen zuhält.

Es geht Mo Harawe nicht darum, Dinge zu beschönigen, sondern einen schwierigen, uns fremden Alltag zu zeigen, in dem die Menschen ihr Leben leben. Kriminalität ist ebenso präsent wie das alte Clansystem, das anstelle des Staates für eine gewisse Ordnung sorgt. Die selbstbewusste Araweelo weiß, dass sie damit umgehen muss, um zu ihrem Recht zu kommen. Sie ordnet sich ein, nicht unter. Religion ist kein Thema – doch nie käme sie auf die Idee, ihr Kopftuch abzunehmen.

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