Es sieht paradiesisch aus. Der gepflegte Garten mit Pool und Gemüsebeet, Vogelgezwitscher. Das unvorstellbare Grauen wird nur durch die Klänge vernehmbar, die über die Gartenmauer dringen. Denn das Zuhause von KZ-Kommandant Rudolf Höß befindet sich direkt neben dem Vernichtungslager Auschwitz. Beklemmend, verstörend und intensiv folgt das oscarnominierte Holocaustdrama „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer dem Alltag der Familie Höß.
Eindrücklich und brillant: Christian Friedel und Sandra Hüller
Gespielt wird der Kommandant ebenso nüchtern wie eindrücklich von Christian Friedel („Babylon Berlin“), während Shootingstar Sandra Hüller („Anatomie eines Falls“) in der Rolle der Ehefrau Hedwig brilliert. Beide verkörpern ein Ehepaar mit allen Konflikten und Freuden, das allerdings in einer aus heutiger Sicht beinahe surrealen Situation lebt, seinen moralischen Kompass zerschmettert hat.
Der Horror entsteht über die Tonspur
„The Zone of Interest“ ist anders als viele bisherigen Holocaust-Filme: Das Innere des Vernichtungslagers Auschwitz, in dem Hunderttausende Juden ermordet wurden, zeigt der britische Regisseur Glazer nie. Er setzt stattdessen auf das Wissen seines Publikums und spielt mit Kontrasten und Auslassungen. Denn der Horror entsteht für den Zuschauer über die Tonspur. Geschrei, Hundegebell, Schüsse sind als latentes Grundrauschen den gesamten Film über präsent, überlagern jede noch so vermeintlich idyllische Familienszene. Für Hedwig und Rudolf Höß, die sich mit ihren Kindern ihr eigenes Idyll aufgebaut haben, sind dies bloß Hintergrundgeräusche – so als wohne man an einer belebten Straße und blende den Lärm irgendwann aus.
Glazer erzählt die Geschichte dabei aus der Perspektive der Familie – wie Hedwig die Kinder großzieht oder ihrer Mutter im Garten stolz erzählt, dass ihr Mann sie die „Königin von Auschwitz“ nennt. Die Gleichgültigkeit und Bösartigkeit der Familie ist nicht vordergründig präsent, blitzt aber immer wieder unvermittelt auf, etwa wenn Hedwig sich echauffiert und einer Bediensteten nebenbei sagt, ihr Ehemann könne ihre Asche über die Felder streuen. Rauchschwaden, die man aus dem Fenster sehen kann, oder das Spielzeug der Kinder lassen erahnen, welch Grauen sich im Lager selbst abspielt.
„The Zone of Interest“ ist lose angelehnt an den gleichnamigen Roman (auf Deutsch: „Interessengebiet“) von Martin Amis aus 2014. In Cannes hat der Film bereits den Großen Preis der Jury abgeräumt, bei den diesjährigen Oscars geht er nun in fünf Kategorien ins Rennen, unter anderem als bester Film, für die beste Regie und den besten Ton. Vor allem in letzterer Kategorie glänzt „The Zone of Interest“, der letztlich aus zwei Filmen besteht – demjenigen, den man sieht und demjenigen, den man hört.
Gedreht wurde in Polen unter anderem neben dem ehemaligen Lager, auf dessen Gelände Rudolf Höß 1947 für seine Kriegsverbrechen hingerichtet wurde. Höß‘ Haus wurde für die Produktion rekonstruiert. Für Darsteller Friedel eine sehr intensive Erfahrung, wie er im Februar in Berlin sagte. „Man wird ja jeden Tag auch an die eigene Verantwortung erinnert.“ Hüller betonte, sie habe einen Moment gebraucht, bis sie sich für die Rolle entschieden hatte: „Weil ich eigentlich nicht so richtig daran interessiert war, so jemanden zu verkörpern.“
Respektvolle Annäherung an das Thema Holocaust
Dass sich Glazer experimentell aber stets respektvoll dem Thema Holocaust nähert, merkt man schon direkt zu Beginn des Films: Minutenlang bleibt die Leinwand schwarz, dazu unangenehme Störgeräusche, die in Vogelgezwitscher übergehen. Dann eine idyllische Szenerie an einem Fluss in der Natur – ein Badeausflug von Familie Höß. Die auffälligen Digitalaufnahmen verleihen den Bildern eine heutige Unmittelbarkeit, die das Geschehen enthistorisiert. Der Fokus auf den Alltag von Menschen, die abseits der Norm ein völlig konventionelles Leben leben sowie die brachiale Soundkulisse machen „The Zone of Interest“ zu einem einzigartigen Drama, das auch nach dem Kinobesuch noch lange nachwirkt.
Von Sabrina Szameitat und Martin Fichter-Wöß