Theater am Werk startete mit Sozialismus-Blitzkurs in Saison

Eine linke Vordenkerin, die kurz davor steht, in Österreich die Wahlen zu gewinnen? Gibt es. Zumindest im Stück „The Chosen One“ des Wiener Kollektivs toxic dreams, das am Montagabend als Koproduktion mit dem Theater am Werk die dortige Saison eröffnet hat. Die zweistündige „Fakementary“ kommt als hochtrabende, durchgehend englischsprachige Sozialismus-Vorlesung mit verteilten Rollen daher und verfängt sich letzten Endes in langatmigen Wiederholungsschleifen.

In der von toxic dreams-Gründer Yosi Wanunu geschriebenen, inszenierten und aus der ersten Reihe via Mikrofon kommentierten Geschichte dreht sich alles um die aus der österreichischen Provinz stammende Amelie Bauer, die mit ihrem radikalen sozialistischen Denkansatz nicht nur ihr engstes Team begeistert, sondern überraschend auch in den Umfragen vorne liegt. Doch kurz vor der Wahl verschwindet sie spurlos – angeblich nachdem sie Thomas Pikettys Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ gelesen hat.

Was folgt, ist eine Art Dokumentation der Zeit vor Bauers Verschwinden. Auf fünf runden Podesten mit Drehstühlen, die an Jury-Settings in TV-Castingshows erinnern, nehmen Susanne Gschwendtner als Amelie Bauer und ihre Mitstreiter Anat Stainberg, Markus Zett, Florian Tröbinger und Barca Baxant Platz. Auf einem Bildschirm im Bühnenhintergrund wird am unteren Rand eingeblendet, aus welcher Quelle die jeweilige Szene, die nun gespielt wird, stammt: private Videos von internen Sitzungen, TV-Übertragungen von öffentlichen Reden oder Interviews mit heimischen Medien. Hier wird quasi live eine Doku zusammengebaut, die es jedoch nie auf den Bildschirm schafft, sondern ausschließlich live auf der Bühne zu erleben ist. Immer wieder brechen die Darsteller aus, hinterfragen ihre Handlungen beim im Publikum sitzenden Regisseur und gründen eine Partei der Vielen, die sich aber in dem Moment in Luft auflösen wird, als die Anführerin verschwindet.

Und so erfährt man – sofern man gehobenes Englisch versteht, denn auf Untertitel wird verzichtet – allerlei über die Geschichte des Sozialismus von Marx bis Kreisky, philosophiert über die Abgrenzungen zu Kommunismus und Sozialdemokratie und träumt von einer Welt, in der niemand mehr von der „Dritten Welt“ redet, sondern politisch korrekt vom „Globalen Süden“. Es geht um Erbschafts- und Reichensteuer, den „wahren Feminismus“ der 1960er- und 70er-Jahre und den alles zerstörenden Kapitalismus. Zwar wird die Theorie durch den Wechsel von Diskussionen, Dialogen, Interviews und Monologen theatral aufgelockert – ihre Reden singt Amelie Bauer übrigens zu den Klängen der Live-Band im Bühnenhintergrund -, dreht sich aber zunehmend im Kreis.

So kommt der Abend nicht über einen diskursiven Feldversuch hinaus, der nicht zuletzt durch die sprachliche Barriere in einem Theater, das sich als „Ort der Vielen“ versteht, wie die künstlerische Leiterin Esther Holland-Merten kurz zuvor bei der Pressekonferenz betont hatte, seltsam abgehoben wirkt. Freundlicher Applaus beendete den Auftakt der zweiten Saison, die unter dem neuen Label Theater am Werk (vormals Werk X) angetreten ist, sich als „mutmachender und differenzierter Erfahrungsraum“ in Zeiten des Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien zu etablieren, wie Holland-Merten sagte.

Insgesamt setzt das Haus, das sich laut der kaufmännischen Leiterin Alexandra Jachim heuer in einem „Jahr der Konsolidierung“ befindet, in dem man auf Modernisierung, Automatisierung und verschlankte Prozesse fokussiert, in den kommenden Monaten vor allem auf Kooperationen und Koproduktionen. Als einzige Eigenproduktion ist die Uraufführung des Gewinnerstücks des „Drama Labs“ der Wiener Wortstaetten am 25. April geplant: Christine Eder inszeniert „aufstiegskörper. ein fühlversuch.“ von Lena Riemer im Theater am Werk am Petersplatz. „Im Sinne der Nachhaltigkeit des Produzierens“ sei man auch bestrebt, Wiederaufnahmen zu realisieren, weshalb sich in der neuen Saison die beiden Eigenproduktionen „Im Menschen muss alles herrlich sein“ von Sasha Marianna Salzmann und „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon wiederfinden.

Zu den bundesländerübergreifenden Kooperationen zählen „Wir haben versagt“ im Rahmen des 35-jährigen Jubiläums des aktionstheater ensembles am 12. Jänner im Kabelwerk, als Koproduktion mit dem Schauspielhaus Graz steht die Stückentwicklung „Im Rückspiegel“ des Kollektivs Das Planetenparty Prinzip im Juni auf dem Programm. Eine Koproduktion mit dem ImPulsTanz-Festival ist „Beyond The Overflow“ von Dig Up Productions unter der künstlerischen Leitung von Elisabeth Bakambamba Tambwe am 30. Jänner, am 4. Dezember kommt „Adrian!“ von Roland Rauschmeiers Kollektiv PKW (Performance Kunst Wien) ins Werk am Petersplatz. Im November findet das Festival für experimentelle Zirkuskunst „On The Edge“ im Kabelwerk statt, mit Spitzwegerich realisiert man die Uraufführung von „Staub … a little mindblow*“ (Premiere am 28.11.) im Kabelwerk. Insgesamt stehen derzeit 15 Premieren auf dem Programm, weitere Koproduktionen seien in Arbeit.

Die erste Saison unter der neuen Leitung verzeichnete ein Auslastungsplus von 12 Prozentpunkten, wodurch man laut Jachim nun bei 78 Prozent hält, wie sie auf APA-Nachfrage bekanntgab. Eine Besucherbefragung habe ergeben, dass man zuletzt auch vermehrt lokales Publikum aus Wien-Meidling erreiche: „Einige haben erst jetzt, wo wir das Wort ‚Theater‘ im Namen tragen, bemerkt, dass es hier seit Jahren ein Theater gibt“, bemerkte Holland-Merten spitz. Ihr Programm setze sich aus einer „Vielfalt an Formen“ zusammen, der inhaltliche rote Faden sei es, „nah an der Gesellschaft und den Lebensrealitäten zu sein“. Mit „The Chosen One“ mag das in der Theorie stimmen, in der Praxis ist es jedoch ein Abend, der im Kontrast zu der so viel beschworenen Niederschwelligkeit steht.

(Von Sonja Harter/APA)

„The Chosen One“ von toxic dreams, Koproduktion mit dem Theater am Werk. Text und Inszenierung: Yosi Wanunu, mit Susanne Gschwendtner, Anat Stainberg, Markus Zett, Florian Tröbinger und Barca Baxant. Live-Band: Michael Strohmann, Didi Kern, Philipp Quehenberger. Weitere Termine: 8., 10., 11., 12., 17., 18. und 19. Oktober, 19.30 Uhr. theater-am-werk.at

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