Tiefe Abgründe der Weinseligkeit

Horvaths Volksstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ in der Bruckmühle

2406_Wienerwald_287.jpg

Sommertheater soll luftig, leicht und locker, entspannend und unterhaltsam sein. Noch dazu auf einer Freiluftbühne. Wenn das mit Niveau gelingt, ist der Zweck erfüllt. Umso beachtlicher ist es allerdings, wenn eine Bühne den Weg einer anderen Art von Sommertheater geht – mit hohem Anspruch und das Publikum fordernd.

Die Bruckmühle in Pregarten wagte jetzt im Rahmen der Aistfestspiele 2024 diesen Versuch mit dem bekannten Volksstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ von Ödön von Horvath. Und der Versuch unter der Regie von Bruckmühle-Chef Richard Maynau ist gelungen! Premiere war am Freitagabend.

Lesen Sie auch

Das Stück spielt Ende der 1920erJahre in Wien und in der Wachau. Ein Umfeld, das sofort Assoziationen vom „goldenen Wienerherz“ und von Weinromantik hervorruft. Weit gefehlt freilich! Horvath zeigt eine Welt der „Kleinen Leute“ voller Borniertheit, Primitivität und Intoleranz sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch bis hin zu Antisemitismus und dem heraufdämmernden Nationalsozialismus.

Mit anderen Worten: Die dunkle Seite der Wiener Gemütlichkeit vor der Kulisse einer Fleischhauerei, eines Zauber-Puppenladens, einer Trafik und „draußen in der Wachau“. Dazu kommen Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und massive soziale Probleme. Vor allem aber zieht am Horizont der Zweite Weltkrieg herauf, was im Stück fatalistisch kommentiert wird: „Krieg wird es immer geben, Krieg ist ein Naturgesetz“.

Alles fokussiert auf das Schicksal von Marianne, einem „süßen Wiener Mädel“, das im Zuge des Geschehens immer mehr zum tragischen Opfer der Verhältnisse und vor allem auch der – patriarchalischen – Umstände wird. Die Figuren im Stück sind von Horvath als Prototypen angelegt. Da ist der Fleischhauer Oskar, ein primitiv Liebender der Marianne. Diese wiederum geht eine folgenschwere Liaison mit dem Hallodri Alfred ein.

Die ältere Generation – gezeichnet unter anderem als enttäuschter Vater Mariannes, als pseudo-mondäne Geschäftsfrau Valerie und als Großmutter in der Wachau – versucht den gesellschaftlichen Schein zu wahren, verbleibt aber letztlich in ihrer trist-banalen Welt. Ein „Rittmeister“ und ein „Jusstudent“ repräsentieren den politisch-gesellschaftlichen Umbruch, der Erste als Vertreter der untergegangenen Monarchie, der Zweite als Jungnazi.

Authentische Atmosphäre

Maynau legt das Stück trotz notwendiger Zuspitzung insgesamt authentisch an, die Atmosphäre der Zwischenkriegszeit mit ihren sozialen und politischen Problemen stellt sich von Beginn an ebenso ein wie das menschlich Abgründige von „Es wird a Wein sein und mir werden nimmer sein…“.

Gerade die geschickt eingebauten Walzerklänge (musikalische Leitung Reinhard Prinz) sind es, die die Dramatik des Geschehens unterstreichen. Gänsehauterlebnis beim Donauwalzer! Dazu kommt die „Naturbühne“ mit Bäumen, Felsen und Vogelgezwitscher, die durch die Ereignisse jeden Anstrich von Gemütlichkeit und Weinseligkeit verliert.

Das Ensemble – ein Mix aus Profis und Laiendarstellern – bringt die Doppelbödigkeit von Horvaths Text, auch sprachlich, perfekt zum Ausdruck. Um nur die Hauptfiguren zu nennen: Alexandra Kloiber als Marianne, Gabriel Tober-Kastner als Alfred, Lukas Auberger als Oskar, Annemarie Lettmayr als Trafikantin Valerie oder Fritz Renhart als Puppen-Zauberkönig. Aber das gesamte 20köpfige Darstellerteam gehört vor den Vorhang.

Der anhaltende Applaus nach der – inklusive Pause – fast dreistündigen Vorstellung war mehr als verdient.

Ein Hinweis vielleicht noch: Selbst nach einem heißen Sommertag sollte man beim abendlichen Open-Air-Event in der Bruckmühle eine wärmere Kleidung nicht vergessen.

Von Werner Rohrhofer