Obwohl Pedro Almodóvar seit Jahrzehnten ein Regiestar des europäischen Kinos ist, hat der soeben 75 Jahre alt gewordene Filmemacher lange Zeit keinen Hauptpreis bei einschlägigen Filmfestivals gewonnen. Bis jetzt: Mit seinem ersten englischsprachigen Spielfilm „The Room Next Door“ wurde der Spanier kürzlich mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet. Nun kommt sein stargespickter Film über das Sterben am Donnerstag in die heimischen Kinos.
Der Film handelt von einer todkranken Frau, die sich entschließt, ihrem Leben ein Ende zu setzen und dabei Hilfe von einer alten Freundin bekommt. Mit Tilda Swinton und Julianne Moore konnte Almodóvar für das Drama zwei der besten Hollywoodschauspielerinnen überhaupt gewinnen. Viel Überzeugungsarbeit musste er nicht leisten, im Gegenteil. „Ich hatte einfach Glück, dass er mich ausgewählt hat“, sagte Moore in Venedig. Swinton sagte, sie bewundere Almodóvar seit langem und es sei ihr nie in den Sinn gekommen, dass in seinen Filmen Platz für sie wäre.
„Trotzdem hatte ich eines Tages die Frechheit, als ich im selben Raum wie er war, zu sagen: ‚Hör zu, ich lerne Spanisch für dich. Du kannst mich zur Stummen machen. Das ist mir egal.‘ Er hat, wie es ihn auszeichnet, sehr süß gelacht.“ Dass er sie am Ende ausgewählt habe, sei „eine große Gnade und ein großes Privileg in meinem Leben“, führte Swinton aus. „Für mich waren seine Filme immer so voller Leben und Menschlichkeit“, fuhr Moore fort. Ein Teil davon zu sein, sei „unglaublich aufregend“.
Andersherum ist es auch für Almodóvar ein Glück, dass er sich in „The Room Next Door“ komplett auf seine charismatischen Darstellerinnen verlassen kann, denen zuzusehen eine Freude ist. Vor allem Swinton, im Film blass bis zur Durchsichtigkeit, scheint die Rolle auf den Leib geschrieben. Sie spielt die ehemalige Kriegsreporterin Martha. Weil sie unheilbar an Krebs erkrankt ist, hat Martha sich im Darknet eine Pille besorgt, die sie umbringen wird.
Sie blickt ihrem Tod recht aufgeräumt ins Auge, will aber in diesem Moment nicht allein sein. Daher bittet sie Ingrid (Moore), sie zum Sterben in ein gemietetes Haus auf dem Land zu begleiten – und im Zimmer nebenan zu sein, im „room next door“, wenn sie die Pille nimmt. Wenn die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen ist, sei es geschehen, sagt sie Ingrid.
In der Luxusvilla angekommen, verbringen Martha und Ingrid ihre Tage damit, über Bücher und Beziehungen zu sprechen, Filme zu schauen – oder es sich auf Sonnenliegen bequem zu machen, die die beiden Frauen aussehen lassen wie ein Gemälde Edward Hoppers. Von ihm hängt ein Kunstdruck im luxuriösen Mietshaus.
Wie Zuschauer es von den Filmen Almodóvars gewohnt sind, hat „The Room Next Door“ eine besondere Optik – mit leuchtenden Farben und Bildkompositionen, die wie Gemälde gerahmt sind. Das Drama ist zudem leichtfüßig, hat einige lustige Momente. Zum Beispiel in jener Szene, als die Tür zu Marthas Raum plötzlich geschlossen ist, Ingrid also denkt, ihre Freundin sei gestorben. Bis sich herausstellt, dass nur ein Windstoß die Tür zugeweht hat. Amüsant wird es auch, wenn die verkleidete Swinton in einem recht bizarren Auftritt nicht nur Martha, sondern auch ihre Tochter spielt.
Am Filmset hätten sie nicht viel über den Tod, sondern über das Leben gesprochen, sagte Swinton. „Für mich handelt dieser Film vom Leben.“ Ein Thema von „The Room Next Door“ sei außerdem Selbstbestimmung. Es gehe um eine Person, „die beschließt, ihr Leben und ihr Sterben selbst in die Hand zu nehmen und es so zu gestalten, wie sie es möchte.“ Ihre Figur Martha stelle sich die Reise mit ihrer Freundin als Abenteuer vor, das sie zelebriere. „Ich kann nicht sagen, dass ich an ihrer Stelle nicht genauso handeln würde.“
Eine weitere Ebene bekommt der Film mit der Figur eines alten gemeinsamen Freundes, den Ingrid ab und zu trifft. Mit Damian (John Turturro) hatten beide Frauen eine Affäre. Er ist ein Dozent, der sich mit der Klimakatastrophe beschäftigt und apokalyptische Vorträge hält.
Das Ende ist unausweichlich, so die Botschaft Almodóvars in seinem neuen Film. Daher gilt es, das Leben und die Menschen, mit denen man es verbringt, besonders zu zelebrieren.