Das hätte sich Anton Bruckner nicht gedacht. Dass seine reichlich gesegnete, wenn auch oft unverstandene Sinfonik im Urzustand in den Konzertsaal findet. In seinem Geburtsjahr zu seinem Fest unternahm dieses Experiment das Brucknerhaus, indem es von allen der elf Sinfonien in einem eigenen Zyklus manche in der Originalfassung auf die Bühne bringt.
Eine einzigartige und reizvolle Idee, wenn sie auch fachliche Orientiertheit beansprucht, um Unterschiede zur gewohnten Version einer Sinfonie zu erkennen. Eigentlich muss einem jede Note heilig sein von Anton Bruckner.
So dachte auch das zahlreich gekommene, neugierige Publikum am Samstag, dem bereits dritten Abend der Reihe, mit dem Orchester der Wiener Akademie unter der bei historischen Aufführungen erfahrenem Musiker Martin Haselböck. Der Erfolg war ihm sicher und steigerte sich bis zur Begeisterung für den teils unbekannten Bruckner.
Mit seinem leidenschaftlichen Pulteinsatz, temperamentmäßig recht wohl dosierten Gesten konnte er spielend von seiner Affinität zu Bruckner, mit der er sein Ensemble zu besonderen Leistungen ansteckte, vollends überzeugen.
Aber was war denn überhaupt anders bei Bruckner? In erster Linie das Klangbild bei dezimierter Orchesterbesetzung der lange nach der Entstehung 1871-72 entdeckten 2. Sinfonie c-Moll WAB 102? Wien mochte und gefiel das Werk nicht, führte es dann aber doch mit den Philharmonikern unter dem Komponisten 1873 auf.
Und der für eine Widmung geplante, zu Konzerten stets fliehende Starpianist Franz Liszt ließ bei der Abreise von Wien die Partitur am Klavier unbeachtet liegen. Ohne zu wissen, dass in der Sinfonie die Streicher auf Darmsaiten spielen, zu Gunsten einer natürlichen Klangbalance und Verschmelzung mit den authentischen Holzbläsern, dass dem Blech angenehm runde Klänge gelingen und statt brillanter Stärke insgesamt leichter eine wünschenswerte Homogenität erzielt wird.
Der formale Aufbau der vier Sätze ist jedenfalls total ein echter Bruckner. Zitate (eine Bach-Fuge oder von Bruckner eigene Themen aus seiner f-Moll Messe) schmälern den Wert Bachscher Satzkunst überhaupt nicht. Eine Verbeugung vor dem Meister.
Mehr als ein Kompliment verdient nicht zuletzt das mit Liszt-Werken zusammengeführte Programm des Abends mit ebenfalls der Opuszahl ZWEI. Als eine Rarität die Orchesterfassung der Ungarischen Rhapsodie d-Moll, und wenn man schon den international gesuchten US-Amerikaner Kit Armstrong (32) für die Soli zur Verfügung hat, Liszts 2. Konzert für Klavier und Orchester einfühlend in die Fassung 1861 auf dem Flügel „ganz englischer Konstruktion“ aus dem seinerzeit bedeutendsten Wiener Klavierhersteller Streicher.
Draußen regnete es unerfreulich weiter, drinnen im Haus regnete es Beifall in Strömen. Man freut sich auf das Abenteuer weiterer Bruckner-Originale.
Von Georgina Szeless