Ulli Fessl, in Linz geboren, in dessen Theatern aufgewachsene und nach Ablegung ihrer Reifeprüfung nach Wien übersiedelte Schauspielerin, feiert heute in ihrem Zweitwohnsitz im Waldviertel ihren unglaublichen 80. Geburtstag.
Sie war knapp 50 Jahre am Burgtheater engagiert, fand einen fixen Platz in Operetten- und Musical-Produktionen und gilt als erste Adresse, wenn es um Dichter wie Ferdinand Raimund oder Johann Nestroy geht.
VOLKSBLATT-Mitarbeiter Ingo Rickl hat Ulli einst in das im Herbst 1961 aus Schutt und Schmutz aufgebaute Wiener Studententheater geholt. Von dort entschwand sie allerdings bald in die Schauspielschule Krauss und ins Burgtheater.
VOLKSBLATT: Liebe Ulli, wie war die Jugend in Linz?
ULLI FESSL: Ein genialer Deutschprofessor machte uns in Richtung Matura mit den großen Dichtungen der Weltliteratur bekannt. Ich verbrachte bereits als Kind meine gesamte Freizeit im Theater, viel vor, meist jedoch auf der Bühne. Daran hat sich übrigens bis heute Tag für Tag nichts geändert. Zunächst sprach ich ein schreckliches Kauderwelsch, in dem Vokale und Konsonanten nicht zu trennen waren. Der legendäre Kurt Fischer-Colbrie lehrte mich Sprechtechnik. Meine erste Schauspiel-Prüfung bestand ich im Salzburger Mozarteum. Dann kam mein 18. Geburtstag und ich durfte im Linzer Kellertheater in „Georges Dantin“ von Molière die Titelrolle spielen. Nach bestandener Matura ging ich schnurstracks nach Wien, offiziell, um nach dem Wunsch meiner Eltern Jus zu studieren. Nach der Arbeit im Studententheater kamen einige Filmrollen und vor allem der Eintritt in die Schauspielschule Krauss.
Wie kamst Du so schnell ans Wiener Burgtheater?
Einfacher, als man glauben könnte. Ich spielte gerade am Donauufer eine kleine Filmrolle, als mich mein lieber Kollege Heinz Ehrenfreund ermunterte, am Burgtheater für eine Shakespeare-Rolle vorzusprechen. Nun kam was Unglaubliches. Ich fuhr im Kostüm des verschlammten Mädchens zum Vorsprechen, wo etwa 30 hübsche Mädchen auf ihre Chance warteten. Dann kam das Wunder: Man suchte zunächst für Carl Zuckmayers „Die Uhr schlägt eins“ eine rauschgiftsüchtige Schlampe namens Mieze Kudlich. Ich bekam diese Rolle zum Leidwesen der vielen eleganten Konkurrentinnen und erhielt bei meiner ersten Burg-Premiere am 14. Oktober 1961 sensationelle Kritiken. Das Langzeit-Resultat lautete: Es wurden fast 50 Jahre am Burgtheater und das unter nicht weniger als sieben Direktoren. Mit keinem, auch nicht mit Claus Peymann, hatte ich Differenzen. Es war eine glückliche Zeit mit mehr als 150 Partien. Meine letzte Premiere feierte ich am 2009 mit Franz Wittenbrinks „So leben wir und nehmen immer Abschied“ als Putzfrau, eine Partie, die ich noch in der folgenden Spielzeit spielen durfte.
Riesenerfolg hattest Du mit einigen Lieblingsdichtern nicht nur am Burgtheater?
Das stimmt. In allererster Linie liebe ich die Figuren Ferdinand Raimunds, vor allem die Rosl im „Verschwender“. Das wurde mehrfach gewürdigt: zunächst mit der Raimundmedaille 2010, dann 2013 mit dem Raimundring, den außer mir nur fünf Damen erhielten: Käthe Gold, Inge Konradi, Paula Wessely, Christiane Hörbiger und Andrea Eckert. Ich kämpfe sowohl als Schauspielerin auf verschiedensten Bühnen und in zahlreichen Lesungen für Johann Nestroy, Ferdinand Sauter, Josef Weinheber und den leider am 17. Oktober verstorbenen Helmut Chorherr, der mir Bertha von Suttner, Berta Zuckerkandl, die alte versoffene Adele Sandrock und Katharina Schratt gleichsam auf den Leib schrieb. Nun hat er mir noch die Frauenrollen in einem Nestroy-Lebensbild hinterlassen.
Wie steht es mit dem Musiktheater?
Sensationell gut. Es begann mit Fritz Kreislers köstlichem Singspiel „Sissy“ am Wiener Raimundtheater. Einige Produktionen folgten in der Wiener Volksoper mit der unvergleichlichen Robert-Herzl-Inszenierung von Frederick Loewes „My Fair Lady“. Mein großer Stolz ist allerdings, dass ich von Herbert von Karajan und Leopold Lindtberg eingeladen wurde, in der Staatsopern-„Fledermaus“ neben Stars wie Hilde Güden und Renate Holm die Ida zu verkörpern. Am 31. Dezember 1965 dirigierte der 85-jährige Robert Stolz die Festaufführung für Queen Elizabeth, worauf ich in der Presse zur Kammersängerin avancierte. Hilde Güden was not amused …
Wir bräuchten eine Sonderausgabe, um nur die wichtigsten Deiner Rollen zu skizzieren. Du stehst auch nach Deiner Pensionierung so gut wie jeden Tag auf der Bühne oder im Vortragssaal?
Ja, kurioserweise spiele ich noch fast überall. Nur aus Oberösterreich wurde ich, abgesehen von einigen Lesungen, noch nie angefragt. Die wenigen Abende, in denen ich – abgesehen von den Lockdowns – nicht auf der Bühne stehe, bin ich im Publikum, um die Kunst meiner vielen lieben Kollegen zu bewundern.
Über Dein Privatleben haben wir noch nicht gesprochen.
Hier gibt es eine wunderbare Zeit, als ich von 1975 bis 1991 mit meinem geliebten Kurt Junek verheiratet war und wir uns gemeinsam über den Dächern der Wiener Innenstadt und im Waldviertel wunderschöne, gemütliche Heimstätten einrichteten. Kurt war ein genialer Kameramann und erfindungsreicher Regisseur mit einem Nachteil: Er arbeitete rund um die Uhr. Er hat mich leider nach dem vierten Herzinfarkt verlassen. Als Künstlerin heiße ich immer Ulli Fessl, als Privatperson Fessl-Junek. Letztlich aber ist der Kurt immer bei mir …
Wann beginnen neue künstlerische Aktivitäten?
Am 10. Jänner mit einer Lesung von Mozart-Briefen samt Harfenbegleitung im Mozarthaus Vienna. Am selben Tag beginnen in der Komödie am Kai die Proben zur Wiederaufnahme der „Golden Girls“ mit einer unglaublichen Starbesetzung. Dann kommt die Nestroy-Geschichte von Helmut Chorherr und ab 19. Juli bei den Wachaufestspielen Weißenkirchen die schon zwei Mal verschobene Uraufführung der „Göttin in Weiß“ von Hofbauer & Floh.
Hast du noch Wünsche für die Zukunft?
Ja. Ich hätte gerne Angebote aus Oberösterreich. Ich wünsche mir noch die Großmutter aus Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ und ein arbeitsreiches Leben in Gesundheit.
Mit ULLI FESSL sprach Ingo Rickl