Unvollendetes zur Vollendung geführt

Brucknerfest: Beglückendes Eröffnungskonzert des Bruckner Orchesters

Keine vollständige Sinfonie, aber sinfonische Nähe bot am Sonntag das Programm des Eröffnungskonzertes des Brucknerfestes. Einleitend spielte das Bruckner Orchester Linz ein rätselhaftes Werk aus Bruckners Zeit, dessen Identität bis heute nicht restlos feststeht.

Es wurde durch Zufall gefunden, war skizzenhaft entworfen, stammte vermutlich aus Bruckners Hand und wurde dann vom Kopisten und Verehrer Bruckners Rudolf Krzyzanowski für die Nachwelt fertiggestellt. Ein glückliches Schicksal für die ehrliche, saubere Arbeit dieses „Symphonischen Präludiums“ c-moll, WAB add 332 aus dem Entstehungsjahr 1876, für welches das Orchester und Markus Poschner ihre Herzen aus Überzeugung öffneten.

Noch weiter machten sie das für Schuberts „Unvollendete“, den zweisätzigen Torso einer Sinfonie des 25-jährigen Komponisten, der das Werk allerdings nie aufgeführt hörte, weil es aus unbekannten Gründen vierzig Jahre versteckt ruhte, lediglich mit dem Entwurf eines dritten Satzes. Bis es an die Öffentlichkeit gelangte, ergänzt durch einen Finalsatz aus einer anderen Sinfonie Schuberts. Heute ist es ein beliebtes Repertoirewerk, das kaum jemals so vollendet wie diesmal interpretiert wurde.

Klangmagier Poschner, hellhöriges Orchester

Dem Klangmagier Poschner schien bei seiner Gestaltung jedes dynamische und formanalytische Detail wichtig. Kein Pianissimo war ihm zu leise, kein Forte aussagekräftig genug, die wiederkehrenden Themen wechselten ihren Charakter. Gerade ein derart populäres Werk braucht diese Liebe zur Genauigkeit, um es neu erleben zu können. Und das Bruckner Orchester folgte hellhörig seinen Intentionen. Fast als ein Ritual wird die Größe dieser Wiedergabe in Erinnerung bleiben.

Pianist Paul Lewis als kongenialer Partner

Zeichnete sich bei Schubert schon ein erster Höhepunkt des Brucknerfestes ab, so beglückte danach das erste Klavierkonzert in d-Moll op. 15 von Johannes Brahms mit dem britischen Solisten und Brendel-Schüler Paul Lewis als einem ideal passenden Orchesterpartner. Poschners Affinität zu Brahms fand volle Bestätigung und wurde auch schon mit Preisen bedacht.

Der erste, besonders ausladende Satz Maestoso verriet die leidenschaftliche Hingabe Poschners an ein Werk, das mit seinen wechselvollen Stimmungen viel Emotionalität fordert. Die typisch Brahms´schen Verwandlungen, Sprünge vom hymnischen Adagio zu Ausbrüchen elementarer Kraft, könnten die Gegensätze nicht deutlicher empfinden lassen als dies dem offenbar seelenverwandten Dirigenten gelungen ist.

Seinen Bruckner kennen wir, seinen Brahms lernten wir lieben. Die unausrottbare Legende von der gegenseitigen Animosität der beiden Komponisten hatte keinen Platz im Brucknerfest. Vielmehr lange Ovationen für unser Bruckner Orchester, den Gastsolisten und Markus Poschner.

Von Georgina Szeless

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