Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Viennale, „C’est pas moi“ von Leos Carax, war 42 Minuten lang. Nur um 25 Minuten länger dauerte der ebenfalls aus Frankreich kommende Abschlussfilm. „Dahomey“, Mati Diops Dokumentarfilm der Rückgabe von kolonialer Raubkunst an ihr afrikanisches Ursprungsland, wurde heuer bei der Berlinale überraschend mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet und spricht ein wichtiges Thema an. Als Film überzeugt er nicht – zu sehen ab Freitag im Kino.
Die 42-jährige Regisseurin, Drehbuchautorin, Kamerafrau und Schauspielerin, 2019 bei den Filmfestspielen in Cannes für ihre märchenhafte tragische Liebesgeschichte „Atlantique“ mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, stellt die berühmten Benin-Bronzen, die seit vielen Jahren im Zentrum einer in vielen Staaten geführten Raubkunstdebatte stehen, in den Mittelpunkt ihres Filmes. 26 Objekte aus dem Bestand des Pariser Museums Quai Branly, die 1892 von französischen Kolonialtruppen geraubt wurden, bildeten die erste Rückgabetranche, die 2021 mit viel Pomp von Paris aus auf die Reise geschickt und unter Jubel im westafrikanischen Benin empfangen wurde.
Diop verfolgt penibel die Reisevorbereitungen, das genaue Untersuchen und Verpacken der Objekte. Allen ist klar: Der Symbolgehalt dieses simplen Kunsttransports ist hoch. Deshalb hat sich die französisch-senegalesische Regisseurin, die als erste schwarze Frau der Festivalgeschichte in Cannes im Wettbewerb um die Goldene Palme antrat, einen besonderen Kniff einfallen lassen: Immer wieder meldet sich ein Kunstwerk aus der Kiste 26 selbst zu Wort. Während die Leinwand schwarz bleibt, sind von einer computergenerierten Stimme Aussagen zu hören wie „Wir sind entwurzelt, herausgerissen. Beute gewaltiger Plünderungen.“ Es ist eine lebensgroße Statue von König Ghezo, die sich darüber beschwert, als Nummer geführt und in ihrer Königswürde verletzt zu werden, sich aber auch darüber Gedanken macht, was sie in der Heimat erwartet. Ghezo herrschte von 1818 bis 1858 über Dahomey und wehrte sich gegen die geforderte Abschaffung des Sklavenhandels, der für sein Land eine wichtige Einnahmequelle war. Ihn seine anklagende Stimme gegen europäische Missetaten erheben zu lassen, sei wohl nicht ganz die richtige Wahl, befand „Die Welt“: „Ghezo als Vorkämpfer für die Rechte der Schwarzen? Schamloser geht es kaum mehr.“
Der Film, der ein globaler Festivalerfolg ist und auch vom Senegal für den Auslandsoscar eingereicht wurde, verzichtet auf starke Bilder, führt aber noch eine zweite Ebene der Stimmen ein: In einer Studentendiskussion an der Université d’Abomey-Calavi in Benin wird die Restitution engagiert und kontroversiell debattiert und auch in Bezug zu aktuellen Problemen des Landes gestellt, die als Folgen von Kolonialismus und Globalisierung gewertet werden. Menschen davon abzuhalten, ihre eigenen Geschichten von ihrem eigenen Ort aus zu erzählen, sei eines der Ziele von Kolonialismus gewesen, erklärte Diop im „Spiegel“: „Mit meinem Film will ich einfangen, was passiert, wenn genau das wieder möglich ist – auch weil man von der eigenen Kunst umgeben ist.“