Von Köln nach Wien: „Akins Traum vom osmanischen Reich“

„Akins Traum“: Seán McDonagh und Kais Setti © APA/APA / Tommy Hetzel/Tommy Hetzel

Wien ist nicht Gelsenkirchen. Das dort heute feststellbare Vielvölkergemisch, das den Erzähler in „Akins Traum vom osmanischen Reich“, einem fürs Schauspiel Köln geschriebenen Stück des 1991 in Essen geborenen Autors Akın Emanuel Şipal, zu seinen märchenhaften Rückgriffen in die Geschichte inspiriert, hat es hierzulande quasi schon immer gegeben. Nicht nur deshalb mutet das in Köln enorm erfolgreiche Stück am Burgtheater ein wenig fremd an. Am Sonntag war Wien-Premiere.

Die Produktion war die letzte Regiearbeit von Stefan Bachmann am Schauspiel Köln und verfolgte „die vollkommen irrsinnige Idee, einen neuen Blick auf die gesamte Geschichte des Osmanischen Reichs in unter zwei Stunden zu liefern“, wie es das Online-Theatermagazin „Nachtkritik.de“ formulierte, das „Akins Traum“ einen „großen Wurf“ nannte. Der „erfrischend andere, erfreulich befremdliche, wunderbar spielfreudige, mit Völkern, Ländern und Sitten jonglierende Abend“, wie ihn die „Süddeutsche Zeitung“ nannte, war daher Fixstarter bei jenen Übernahmen, mit denen die neue Direktion das Repertoire anreicherte.

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Keine Eroberung Wiens

Dass „die Türken“ zweimal vor den Toren Wiens standen, nämlich 1529 und 1683, lernte hier früher jedes Schulkind. Ersteres ist dem Abend einen einzigen Satz wert, als Sultan Süleyman, der Prächtige (Bruno Cathomas), sich im Gespräch mit Kaiser Ferdinand I. (Stefko Hanushevsky) erleichtert zeigt, dass es nicht gelungen sei, Wien zu erobern, denn schon mit den vielen anderen Eroberungen und Tribut zahlenden Vasallen-Staaten sei seine Administration überfordert. Letztere findet gar keine Erwähnung, denn im 17. Jahrhundert macht der „wilde Ritt durch 600 Jahre Geschichte“ Pause, um erst wieder 1924 mit der Abschaffung des Kalifats und der Verbannung und Zerstreuung der Familie Osman einzusetzen.

Man bekommt also in Wien ein anderes Bild der Osmanen vorgesetzt als man es gewohnt ist – und das ist gut so. Dass dieser unter einem immer wieder heruntergefahrenen Wald von Leuchtstäben (Bühne: Olaf Altmann) in originellen und bunten Kostümen (Adriana Braga Peretzki) abgehaltene Geschichts-Schnellkurs kein rechtes Ziel zu verfolgen scheint, ist schon weniger gut. Und dass die Verklärung der anfänglichen religiösen Toleranz gegenüber Christen und Juden so wie die heitere Vermittlung späterer brutaler Herrschaftsmethoden etwas kindlich Naives hat, dass also (abgesehen von einem erstaunlich feministischen Fokus) Bebilderung vor Auseinandersetzung steht, könnte auch zur Verärgerung Anlass geben – wenn der Mummenschanz nicht immer wieder gebrochen würde.

Erzähler mit jeder Menge eigener Probleme

Mehmet Ateşçi als Erzähler und Alter Ego des Autors darf nämlich auf ungemein sympathische Weise seine eigenen alltäglichen Alltagskrämpfe gegen die heroischen Kämpfe der Osmanen (die in „Akins Traum“ freilich auch jede Menge Familien- und Potenzprobleme haben) stellen, ständig die Feuchttücher für die beiden Kinder vergessen, mit der finanziellen und strukturellen Dominanz seiner Frau hadern und auch seine Alb- und Wunschträume als Künstler (ein Talk auf Augenhöhe mit Handke und Jelinek als frisch gebackener Nobelpreisträger gehört dazu) mit dem Publikum teilen. Das ist unterhaltsam – mehr nicht.

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Nur für wenige Minuten packt einen dieser Abend auch emotional. Ganz am Ende singt Ateşçi ein Lied. Nach fast zwei Stunden, die man auf der Bühne deutsch gesprochen hat, während die türkische Übersetzung als Übertitel verfolgbar war, singt er nun in türkischer Sprache zur traurig-sehnsüchtigen Melodie. Und für Momente ist man bei „Akins Traum“ nicht nur Zuseher, sondern auch Mitträumer. Höflicher, anerkennender Applaus.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

„Akins Traum vom osmanischen Reich“ von Akın Emanuel Şipal, Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Komposition und musikalische Einrichtung: Sven Kaiser, Choreographie und Körperarbeit: Sabina Perry. Mit: Alexander Angeletta, Seán McDonagh, Kais Setti, Mehmet Ateşçi, Bruno Cathomas, Melanie Kretschmann, Cennet Rüya Voss, Margot Gödrös, Stefko Hanushevsky. Eine Produktion des Schauspiel Köln im Burgtheater, Nächste Vorstellungen: 17.12., 13.1.2025, burgtheater.at