Wenn menschliche auf künstliche Existenz trifft

Kunstuni Linz präsentiert sich bei der Ars Electronica

Wer lächelt, hat größere Chancen, als Frau wahrgenommen zu werden, breitbeiniges Stehen: Mann. Künstliche Intelligenz fackelt etwas, am Ende ist die Entscheidung eindeutig.

Bilderkennungsprogramme fällen Urteile, kategorisieren, alles passt ins Raster. Wie wenig das mit einer immer diverser werdenden Sicht auf die Welt zusammenpasst, zeigt die Arbeit „Unlearning Gender“ von Jelena Mönch und Miguel Rangil, Studierende des Studiengangs „Interface Cultures“ der Linzer Kunstuniversität und Teil des Festivals Ars Electronica.

Permanent legt der Computer Zuschreibungen über das bewegte Bild des Betrachters. In der Uneindeutigkeit offenbart sich der Unsinn hinter dem Versuch, uns in Schubladen zu stopfen.

Ein sinnlicher Touchscreen

„Mobile Feelings“hieß eine Arbeit von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau, Begründer des Masterstudiums „Interface Cultures“. Atem und Herzschlag wurden anstatt schnöder Stimme übertragen. Heute machen Rene Preuer, Mathias Gartner und Ingrid Graz in einer Kooperation mit der JKU das Berühren eines Touchscreens zu einem sinnlichen Erlebnis.

Die Oberfläche wie ein künstliches Fell animiert zum Anfassen, jede Berührung wird mit einer optischen Reflexion belohnt, Lichtwogen bewegen sich über die Oberfläche und laden zum Weiterdenken ein, wie Manuela Naveau betont, die mit Mignonneau den Studiengang leitet und den Kunstuni-Campus kuratiert.

An die 400 Menschen rund um die Kunstuni sind an der großen Werkschau im Zuge der Ars beteiligt. Noch ist man mitten im Aufbau, die Studierenden haben alles in der Hand, von der Gestaltung der Folder bis zur Präsentation. Und sie machen ihre Sache hervorragend, probieren sich nicht nur aus, sondern zeigen die Breite des Studiums, und welche Früchte ein völlig offenes Denken tragen kann. Nach Sichtung der Arbeiten habe man sich für ein gemeinsames Thema entschieden, erklärt Mignonneau bei einer Vorab-Rundgang durch die Postcity: „Resonatig Selves“. Sich selbst in Bezug zu den Techniken setzen, die uns alle bewegen und umtreiben.

Nur das „ich“ führt ins Nichts

Die wohl schwierigste Frage der Menschheit — „Wer bin ich?“ – beantworten Ahmed Jamal und Simon Weckert mit einem digitalen Spiegel, der, je näher wir ihm kommen und je genauer wir uns selbst betrachten, unsere Körper auflöst und in nahezu unsichtbare Wasserwesen verwandelt. Unsere Umgebung hingegen wird deutlicher und weist uns die Richtung zu einer möglichen Antwort.

Unsere digitale Existenz, die auch nach dem Tod erhalten bleiben kann, transferieren Maalex-Alex Fallica und Martina Pizzigoni in „I died on Facebook“in ein Online-Spiel, konstruieren dort einen Friedhof, der ein virtuelles Gedenken ermöglicht. Mit der (Un)möglichkeit perfekter Kommunikation setzen sich Joann Lee und Younggon Kim auseinander. Eine Keramikskulptur speichert Erzähltes anonym, gibt es transformiert weiter. Dem Wert von Regen widmet sich Maria Orciuoli — sowohl in einer aufwendigen Forschungsarbeit, als auch auf ansprechend poetische Art. Hoch ästhetisch auch die Arbeiten von Emma Silvana Tripaldi, die Abschied mit Vibrationen und Wasser sichtbar macht, und Salma Aly, die Besucher in ein fragiles Stoffzelt einlädt, in dem sich einzelne Muster ohne Bedeutung zu einem umfassenden Bild fügen.

Der Blick auf die Veränderungen, die in einem horrenden Tempo über uns hereinbrechen, uns zwischen Angst und Chance zurücklassen, ist hier ein frischer, der einer Generation, die mit dieser digitalen Welt erwachsen geworden ist. Dieser Blick ist unverzichtbar und essenziell. Er stellt unsere menschliche Existenz in Bezug zu der von uns geschaffenen künstlichen. Die Arbeiten der Studierenden sind seit 2004 nicht nur Teil der Ars Electronica, sie sind wesentlich, Herz und Zukunft. Kein Besuch der Ars (6. – 10.9.) sollte ohne diese Schau begangen werden.

Von Mariella Moshammer

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