Das schwarze, matte Plastik scheint zu fließen, ein ovaler Metallring deutet Tanz an. Aber das idente Gegenüber macht die Bewegung unmöglich, sind die Objekte doch mit einer massiven Metallplatte untrennbar verbunden. Julie Hayward geht mit der Skulptur „Let’s dance“ (2014) geschwisterlichen Beziehungen auf den Grund. Hemmt uns die tiefe Verbundenheit, oder gibt uns der durch die Geburt mit uns Zusammengeschweißte Halt?
Das Kunstmuseum Lentos feiert in Linz sein 20-jähriges Bestehen u.a. mit der Schau „Sisters & Brothers. 500 Jahre Geschwister in der Kunst“ (bis 17.9.), ein sehenswertes Geschenk, das in Kooperation mit der Kunsthalle Tübingen entstand. „Eine wunderbare Themenstellung, mit der eine breite Bevölkerung etwas anfangen kann“, zeigt sich Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer begeistert von den rund 120 Geschwisterdarstellungen von der Mythologie bis ins Heute, die auch das Herz rühren.
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Durchaus gewollt, denn der Mensch stehe im Mittelpunkt, sagt Nicole Fritz, Direktorin der Kunsthalle Tübingen. Das Thema Geschwister wurde so noch nicht gezeigt und sei auch wenig präsent in der Kunstgeschichte. Umso aufschlussreicher der Gang durch die großzügig gehängte Schau. Hinter dem Gezeigten entspinnen sich Geschichten, manche bekannt wie jene von Kain und Abel, Romulus und Remus. Im Barock wird die Familie abgebildet, Nähe gibt es jedoch nur körperlich, wie auf dem „Gruppenbild der drei Kinder der Familie Gottscheer“ (Meytens Schule).
„In der Romantik wird die Geschwisterliebe entdeckt“, so Fritz. Familien werden kleiner, Beziehungen enger, anschaulich etwa in „Die Schwestern Heinrich“ von Johann Baptist Reiter.
Die Zwillingstürme taucht Beuys in Fett
Eindrucksvoll zeigt die Schau gesellschaftliche Entwicklungen anhand präzise ausgewählter Werke, etwa aus den 1920ern, wo „plötzlich tote Geschwister ins Bild gerückt werden“, so Fritz. „Geschwisterkult war im Nationalsozialismus ganz präsent“, weist Elisabeth Nowak-Thaller vom Lentos auf Herbert von Reyl-Hanisch hin.
Auch beim Thema Geschwister bringen die beiden Weltkriege einen großen Bruch, danach entstehen Werke, „die die Ideologien der Gesellschaft reflektieren“, so Fritz. Kunst übersteigert, setzt sich mit Prozessen auseinander, dreht das Innen nach außen, bohrt tief. Die wachsende Bedeutung von Psychologie wird sichtbar.
Nicholas Nixon fotografierte zwischen 1974 bis 2021 jährlich vielsagende Porträts vierer Schwestern. Seine eigene Familie fertigte Christian Jankowski. Er schnitt die Figuren grob aus Holz, machte sie mobil für therapeutische Familienaufstellungen. Das Thema „Zwillinge“ gewann seit den 1990ern an Bedeutung. „Es gibt in unserer hoch individualisierten Gesellschaft eine Sehnsucht nach Seelenverwandtschaft“, sagt Fritz. Joseph Beuys zeigt das World Trade Center, die Zwillingstürme mit Fett beschichtet, jener Stoff, der bei dem Künstler für Liebe und Energie steht.
Mit einem überdimensionalen Holzschnitt von Gert & Uwe Tobias zu Kains Brudermord und voller bunter Monster schließt sich der Kreis einer überaus gelungenen Schau.
Von Mariella Moshammer