Jack Unterweger: Häfnpoet als Serienmörder

Der tiefe Fall des einstigen „Häfnpoeten“, der nach seiner vorzeitigen Entlassung aus der lebenslangen Haft zum Serienmörder wurde, beschäftigt auch drei Jahrzehnte später zahlreiche Menschen im In- und Ausland. Am 27. Februar 1992 endete die Flucht Jack Unterwegers im US-Bundesstaat Florida.

Die meisten stellen sich die Frage, wie es möglich ist, dass ein verurteilter Mörder, dem dank prominenter Fürsprecher eine zweite Chance geschenkt wurde und der anschließend zum Prominenten und Talkshow-Gast mutierte, in exakt 647 Tagen in Freiheit elf Frauen – allesamt Prostituierte — umbrachte?

Die Antwort darauf hat Jack Unterweger, der bis zuletzt alles abstritt und nach dem Schuldspruch Suizid beging, mit ins Grab genommen. Licht ins Dunkel haben weder unzählige Artikel noch diverse Bücher, Theaterstücke bzw. TV-Dokus mit Zeitzeugen oder ein Spielfilm gebracht.

Naive Justiz und leichtgläubige Literaten

Sicher ist rückblickend eines: Bei der bedingten Entlassung des von der Kulturszene als geglücktes Beispiel einer Resozialisierung präsentierten „Lebenslänglichen“ — 1974 ermordete er eine junge Frau im deutschen Bundesland Hessen auf dem Heimweg von einer Weihnachtsfeier — drückte die Justiz beide Augen zu.

So meinte der prominente Vorarlberger Psychiater und Gerichtsgutachter Reinhard Haller am 3. Juli 1996 beim 1. Psychotherapie-Weltkongress in Wien, dass die narzistisch-sadistische Veranlagung Unterwegers bereits nach dem ersten Mord im Jahr 1974 zu denken geben hätte müssen. Unterweger sei weder während seiner Haft, noch nach seiner Freilassung psychotherapeutisch behandelt worden, bemängelte der Experte.

Er habe durch seine Intelligenz und die in der Haft erworbene Intellektualität über seine Veranlagung hinweggetäuscht. An seiner Persönlichkeitsstruktur habe sich nichts geändert. Haller hatte beim Mordprozess am 20. Juni 1994 am Landesgericht Graz sein psychiatrisches Gutachten erläutert. Ergebnis: Bei Jack Unterweger liege eine „tiefgreifende narzistische Persönlichkeitsstörung“ vor, er neige zu einem „sadistischen Modus der Konfliktbewältigung“.

Nachdem der Häftling 1984 den Roman „Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus“ und das Theaterstück „Endstation Zuchthaus“ veröffentlichte, wurde Unterweger in Künstlerkreisen populär und auch darüber hinaus bekannt. Es folgten Petitionen zahlreicher Intellektueller (unter anderem Ernest Borneman, Milo Dor, Erich Fried, Barbara Frischmuth, Günter Grass, Ernst Jandl, Peter Huemer, Elfriede Jelinek, Günther Nenning und Erika Pluhar) zu seiner vorzeitigen Entlassung.

Am 23. Mai 1990 kam er schließlich auf Zustimmung des damaligen Justizministers Egmont Foregger frei. Nach Bekanntwerden des Mordverdachts gingen die einstigen Förderer Unterwegers auf Tauchstation, nur wenige hatten noch den Mut, sich im Nachhinein öffentlich zu ihrer Unterstützung für Unterwegers vorzeitige Entlassung aus der Strafanstalt Krems-Stein zu bekennen.

Der Popstar unter den Serienmördern

Am Abend des 14. Februar 1992 sorgte eine EILT-Meldung der APA für ein kriminalistisches und gesellschaftliches Erdbeben in Österreich. „Der ehemalige Häftling und bekannte Autor Jack Unterweger (42) steht unter dem Verdacht, sieben Prostituierte in Wien, Graz und Lustenau sowie eine Frau in Salzburg ermordet zu haben“, hieß es damals. Das Landesgericht Graz habe einen Haftbefehl gegen Unterweger erlassen, eine Sonderkommission im Innenministerium die Ermittlungen übernommen. Die Jagd auf den Serienmörder begann.

Während seiner Flucht, die lediglich 13 Tage dauerte und in Miami im US-Bundesstaat Florida endete, gab er sogar der „Kleinen Zeitung“ ein Interview, in dem er alles abstritt und die Vorwürfe zurückwies. Von dieser Position rückte Unterweger bis zum Schluss trotz fehlender Alibis und schwerwiegenden Indizien sowie DNA-Spuren nicht ab.

Die Falle schnappt zu

Zum Verhängnis wurde dem „Popstar unter den Serienmördern“ schließlich eine Falle in Form ein Pakets aus Wien mit Medikamenten und einem Vorschuss von 100.000 Schilling als Honorar für eine exklusive Fluchtstory. Als der Gesuchte das Paket holen wollte, klickten die Handschellen: Am Schalter wartete bereits das FBI. Die US-Behörden vollzogen einen Haftbefehl: Verdacht auf elffachen Mord. Wobei die Prostituierten alle auf die gleiche Weise getötet wurden: mit ihrer eigenen Unterwäsche stranguliert.

Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte er sich gemeinsam mit einer jungen Freundin über die Schweiz und Frankreich in die USA abgesetzt. Am 28. Mai wurde Unterweger nach Österreich überstellt, am darauffolgenden Tag verhängte das Landesgericht Graz die Untersuchungshaft. Am 30. August 1993 klagte die Staatsanwaltschaft Unterweger wegen elffachen Mordes an, am 20. April startete schließlich unter großem Medieninteresse der Prozess gegen den Serienmörder.

Jack Unterweger und die Frauen

Immer wieder zum Fall Unterweger befragt wurde der damalige Leiter der Soko, Ernst Geiger, der unter anderem im 2005 erschienenen Buch „Es gibt durchaus noch schöne Morde“ darauf eingeht. Geiger wurde sogar einmal von Unterweger zu einem Prostituiertenmord interviewt. Im „Kurier“ beschrieb ihn Geiger kürzlich als manipulativen Menschen, der vor allem Frauen um den Finger wickeln konnte.

50 Frauen im Alter von 15 bis 65 Jahren machten die Ermittler damals ausfindig, die mit dem „Häfnliteraten“ ein Verhältnis hatten. Darunter auch eine Unternehmergattin, die ihm Wohnung, den auffallenden Ford-Mustang und einen monatlichen Unterhalt zahlte. Wie aus der Dokumentation „Wenn der Achter im Zenit steht“ von Gert Schmidt, Gerlinde Wambacher und Heinz Wernitznig aus dem Jahr 1993 hervorgeht, attestierte Unterweger ein psychiatrischen Gutachten von Werner Laubichler von 1975 ein ambivalentes Verhalten gegenüber Frauen. Demnach zeigte er sich einmal von spezieller Aggressivität, dann wieder anlehnungsbedürftig. „Dieser Zwiespalt führt zu Scheinkontakten und einer gesteigerten, aber nur oberflächlichen sexuellen Aktivität.“

Obwohl Unterweger stets dementierte, sich vom Prostituierten-Millieu angezogen zu fühlen und bei seinen Freundinnen Besuche in Abrede stellte, konnte ihm die Polizei viele Kontakte zu Straßenmädchen nachweisen. Bei ihnen trat er nicht nur als Schriftsteller und Journalist, sondern auch als Kunde auf.

Gleiches Ende wie Opfer

Am 29. Juni 1994 starb Unterweger auf die gleiche Weise wie seine Opfer. Um 3.40 Uhr entdeckte ein Justizwachebeamter im Gefängnis Graz-Jakomini bei einem Kontrollrundgang den toten Unterweger in dessen Zelle. Der einstige Liebling der Literaturszene hatte sich mit der Kordel seiner Jogginghose erhängt.

Der Knoten glich jenem bei den Prostituiertenmorden. Sechs Stunden zuvor war der 43-Jährige wegen Mordes an neun Prostituierten zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Da es in zwei weiteren Fällen keine verwertbaren Spuren an den Leichen gab und ihm die beiden Taten daher nicht nachzuweisen waren, wurde er in diesen Fällen freigesprochen. Durch seinen Suizid wurde der Schuldspruch nie rechtskräftig.

Von Heinz Wernitznig