Johannes Paul II., der am 18. Mai 1920 in Wadowice bei Krakau geboren wurde, war tief von seiner polnischen Heimat geprägt, von ihrer Geschichte und Kultur, samt dem Trauma der mehrfachen Teilungen. Der Sohn eines ehemaligen k.u.k.-Offiziers verlor schon im Alter von neun Jahren die Mutter.
1938 begann er zunächst ein Philosophiestudium, nahm zugleich auch Schauspielunterricht und war Mitbegründer des Rhapsodie-Theaters in Krakau. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er im Steinbruch einer Chemie-Fabrik und studierte im Untergrundseminar. Danach erlebte er im Kommunismus auch das andere totalitäre System. Als junger Priester, als Theologieprofessor und vor allem als Erzbischof und Kardinal in Krakau bewies Karol Wojtyla Stehvermögen im Umgang mit totalitären Machthabern und Funktionären.
Offenbar waren es diese breiten Erfahrungen unter schwierigen Bedingungen, aber auch sein Sprachtalent und seine bei vielen Reisen erworbene Weltläufigkeit, mit denen der Außenseiter im zweiten Konklave des Drei-Päpste-Jahres 1978 die Kardinäle überzeugte. Nach dem zuletzt zögerlich und kränklich wirkenden Paul VI. und dem nur ein Monat lang herrschenden „lächelnden Papst“ Johannes Paul I. sollte der erst 58-Jährige Schwung in die Kirche bringen.
Und der Papst aus Polen erwies sich als begnadeter Kommunikator, der mit pastoraler Kreativität die Kirche förderte, ihr Ansehen und ihren Einfluss in Welt und Gesellschaft stärkte — und von den Medien als „Superstar“ gefeiert wurde.
Der neue Papst brachte einen neuen Stil in den Papstpalast, schaffte Tragsessel und majestätisches „Wir“ ab, fuhr auch als Pontifex noch Ski. In seiner Antrittsrede appellierte er an die Kirche und die Welt: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus. Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme für seine rettende Macht.“ Johannes Paul II. startete viele spektakuläre Initiativen.
Er berief 15 Bischofssynoden ein, lud die Weltreligionen zum Friedensgipfel nach Assisi, empfing 890 Staats- und Regierungschefs und proklamierte 1.800 Heilige und Selige. Johannes Paul II. schrieb 14 Enzykliken, eine Fülle von Lehrschreiben und Botschaften und hielt pro Jahr 900 Ansprachen.
Der „eilige Papst“: 104 Reisen in 129 Länder
Es war sicher auch seiner Vergangenheit geschuldet, dass Frieden und Gerechtigkeit, Menschenrechte, Freiheit und Solidarität zu den starken Themen seines Pontifikats wurden. Er stoppte die auf Kompromisse ausgerichtete „vatikanische Ostpolitik“ von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli und schlug eine härtere Gangart gegenüber kommunistischen Politikern an. Mit Forderungen nach einer sozialen Marktwirtschaft, nach freien Gewerkschaften sowie später nach einer solidarischen Globalisierung entwickelte er die kirchliche Soziallehre weiter.
Johannes Paul II. war ein „politischer“ Papst. Das zeigten besonders seine 104 Auslandsreisen in 129 Länder, bei denen er 1,2 Millionen Kilometer zurücklegte. Österreich war eines der Länder, die er gleich mehrmals, nämlich dreimal, besucht hat.
Seine Reisen, die ihm auch den Namen „eiliger Papst“ einbrachten, wurden zu einem Führungsinstrument seines Pontifikats. Er redete Diktatoren wie Chiles Augusto Pinochet und Kubas Fidel Castro ins Gewissen. Wie sehr er die Kreise der Ostblock-Potentaten störte, zeigte das noch immer nicht aufgeklärte Attentat vom 13. Mai 1981 — weiterhin werden die Drahtzieher hinter dem Eisernen Vorhang vermutet. Dank seiner robusten Konstitution — und, wie er überzeugt war, dem Schutz der Gottesmutter — überlebte der schwerverletzte Papst die Schüsse des Türken Mehmet Ali Agca.
Johannes Paul II. trug maßgeblich zum Fall der Mauer und dem Ende von Ostblock und Sowjet-Regime bei. Und sah diesen Zusammenbruch lange vorher. Bei einem Deutschlandbesuch in den 1970er Jahren löste Wojtyla Kopfschütteln aus, als er empfahl, man solle sich Gedanken über die Zeit nach dem Kommunismus machen.
Sein früherer „Gegenspieler“ aus dem Moskauer Kreml, Michail Gorbatschow, bescheinigte dem Papst einen maßgeblichen Beitrag zum Sturz des Kommunismus in Europa. Und dann wurde der Papst noch einmal vor dem Golfkrieg 2003 zur gefragten Anlaufstelle für Spitzenpolitiker aller Lager. Auch wenn er, bereits schwer von seiner Krankheit gezeichnet, den Krieg nicht verhindern konnte.
Ein Brückenbauer, der in keine Schablone passt
Brücken hat Johannes Paul II. in der Ökumene und im Dialog mit den anderen Religionen gebaut. In seiner Enzyklika „Ut unum sint“ (Damit sie eins seien) lud er nicht-katholische Partner ein, mit Rom über eine Ausübung des Papstamts nachzudenken, die auch für andere christliche Kirchen akzeptabel ist. Bis heute ohne große Resonanz.
Manche Erfolge wie Rückschläge verzeichnete er bei der Aussöhnung mit dem Judentum. Schon seit Kinder- und Schultagen hatte er jüdische Freunde. Als erster Bischof von Rom seit der Antike besuchte er die Synagoge der Ewigen Stadt und begrüßte dort die „älteren Brüder“. Bei seiner Heilig-Land-Reise 2000 ging er an die Klagemauer und zu einer bewegenden Gedenkzeremonie in die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Geistlicher Höhepunkt seiner Amtszeit war das Heilige Jahr 2000. Johannes Paul II. hatte es sich zum Ziel gesetzt, die katholische Kirche ins dritte Jahrtausend zu führen. 30 Millionen Rombesucher durchschritten die Heilige Pforte im Petersdom. Zu den Meilensteinen des „Großen Jubiläums“ gehört die Vergebungsbitte, das „große Mea Culpa“, mit dem der Pontifex für Fehler und Versäumnisse von Katholiken in der Geschichte um Verzeihung bat.
Auch im Rückblick scheint es unmöglich, den Wojtyla-Papst in ein Schema zu zwingen. Progressiv oder konservativ, rechts oder links — die Schablonen passen nicht. Schon in seinem ersten Pontifikatsprogramm hatte er sich auf den Boden des Zweiten Vatikanums gestellt und die sorgfältige Durchführung seiner Bestimmungen für die Glaubensverbreitung, die Ökumene, für Disziplin und Organisation der Kirche versprochen. Das Glaubensgut müsse unversehrt bewahrt, die innere Einheit der Kirche geschützt, die liturgischen Normen beachtet und die Kollegialität gefördert werden.
So gefeiert er zu Pontifikatsbeginn und in seinen letzten Amtsjahren war, so revolutionär neu manche Öffnungen und Gesten schienen, so sehr wurde er ab den 1990er Jahren auch für konservative Positionen kritisiert: in Moral- oder Disziplinarfragen, zu manchen Formen der Befreiungstheologie, gegenüber progressiven Theologen wie Hans Küng. Unter anderem in Österreich und der Schweiz gab es Proteste wegen einiger Bischofsernennungen. Zudem kreidete man Johannes Paul an, dass infolge seiner häufigen Reisen die Römische Kurie zu viel freie Hand bekam. Zudem sei er nicht entschieden genug gegen sexuellen Missbrauch durch Kleriker vorgegangen und habe den Legionäre-Christi-Gründer Marcial Maciel Degollado (1920-2008), dem ebenfalls vielfacher sexueller Missbrauch und andere Verbrechen vorgeworfen werden, zu sehr gestützt.
Die letzte Lebensphase des Papstes war von Krankheit und Leiden — und viel Anteilnahme nicht nur aus der katholischen Welt geprägt. Schon bei seiner Totenmesse am 8. April 2005 forderten Plakate und „Santo subito“-Sprechchöre seine sofortige Heiligsprechung. Sein Nachfolger Benedikt XVI. leitete bereits zwei Monate später das offizielle Verfahren ein, bestand aber auf strengster Einhaltung aller Normen. Am 1. Mai 2011 wurde der Papst aus Polen selig- und am 27. April 2014, zusammen mit seinem Vorvorgänger Johannes XXIII., heiliggesprochen.