Der vierte Abend (von fünf), die die Wiener Staatsoper Corona-bedingt per Stream herausbrachte und den Opernfreunden in Österreich und weltweit kostenfrei anbot, galt dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Und wieder hatte man, wie bei der „Tosca“, eine legendäre Produktion bei der Hand. Das war 1968 eine unvergessliche Leonard-Bernstein-Premiere, und in den mehr als 50 Jahren seither steuert dieser Otto Schenk-Abend demnächst auf seine 400. Vorstellung zu.
Glänzender Groissböck
Hier hat man das Werk in der Zeit Maria Theresias belassen, wie es gemeint ist, und die Geschichte so gerade erzählt, dass alle ihre Elemente sich entfalten können —die Tragödie der alternden Marschallin, die Liebesgeschichte zwischen Octavian und Sophie und vor allem die Komödiantik des Barons Ochs von Lerchenau. Ja, vor allem der Ochs. Günther Groissböck, der in dieser Rolle bereits internationalen Ruhm errungen hat, an der New Yorker Metropolitan Opera, bei den Salzburger Festspielen, zuletzt in Berlin, sang die Rolle nun erstmals in Wien.
Und hatte er bisher ganz ungewöhnliche, exzentrische Interpretationen des bäuerlichen Schwerenöters gezeigt (vielmehr auf Wunsch der Regisseure zeigen müssen), so führte ihn die Wiener Inszenierung in die Normalität zurück. Und da zeigte sich, dass die Figur herrlich prall, überzeugend und lebendig ist, wenn man ihr den Humor lässt, die gewisse spitzbübische Naivität neben dem frechen erotischen Draufgängertum — kurz, dass er kein „Ungustl“ sein muss, um interessant zu sein. Groissböck, Anfang 40 und ideal bei kraftvoller Stimme, trieb den Abend geradezu vor sich her.
Zweiter Held war der Schweizer Philippe Jordan, Musikdirektor der Ära Roscic, der mit dem wunderbar differenzierten Strauss-Bild, das er mit den Wiener Philharmonikern malte, eine noch überzeugendere Visitenkarte abgab als mit der „Madama Butterfly“ (die er als erste Premiere des Hauses geleitet hatte).
Dazu gab es eine schöne und elegische Marschallin in Gestalt von Martina Serafin, eine Sophie mit idealer, glockenklarer Stimme, gesungen von der Amerikanerin Erin Morley, nur den Octavian hätte man sich etwas stürmischer-jünger und schönstimmiger vorgestellt als Daniela Sindram ihn bot. Als Tüpfelchen auf dem „i“ zeigte die Staatsoper, was erste Häuser immer versuchen, nämlich die Rolle des italienischen Sängers, die ja nur aus einer Arie besteht, mit einem Weltstar zu besetzen. Wozu hatte man Piotr Beczala im Haus, der stimmliches Metall golden leuchten ließ?
Ö III zeigt den Abend am 27. Dezember (20.15 Uhr), mit einem anschließenden Porträt von Günther Groissböck.
Von Renate Wagner