Achtung Toleranzfalle! Dringende Warnung eines Ex-Muslimbruders

Hamed Abdel-Samads Buch „Preis der Freiheit“: Plädoyer für Besinnung des Westens auf die echte Freiheit

Freiheit ist ein hohes Gut. Das höchste, das die offenen Gesellschaften des Westens auszeichnet. Einer, der aus eigenem Erleben weiß, was es bedeutet, Freiheit zu genießen oder ihrer beraubt zu sein, ist Abdel Hamed-Samad.

Der 1972 im ägyptischen Gizeh geborene Politikwissenschaftler verkörpert die dem Freiheitsbegriff innewohnenden Widersprüchlichkeiten und Zielkonflikte. Weil er sich vor 30 Jahren die Freiheit genommen hat, die Muslimbruderschaft, für die er sein Leben zu opfern bereit gewesen war, nicht länger als Freiheitskämpfer wahrzunehmen, musste er seine Heimat verlassen.

In Deutschland ist er nun mit den freiheitsberaubenden Folgen der Freiheit konfrontiert, die politische und religiöse Fundamentalisten in einer sich als tolerant, weil freiheitsliebend verstehenden Gesellschaft genießen.

Hamed Abdel-Samad: Der Preis der Freiheit — Eine Warnung an den Westen. 288 Seiten, 25,50 Euro, Verlag: dtv ISBN 978-3-423-28441-7

Seit zehn Jahren unter Polizeischutz

Was das konkret bedeutet, beschreibt Abdel-Samad in seinem neuen Buch „Der Preis der Freiheit — Eine Warnung an den Westen“ so: „Es gibt in meinem Leben keinen normalen Tag. Seit zehn Jahren keinen normalen Tag, obwohl an jedem einzelnen alles nach Plan läuft. Nach einem strengen Plan. Ich weiß heute, was ich an jedem Tag der nächsten vier Wochen machen werde, von morgens bis abends. Und das weiß auch das Landeskriminalamt Berlin. Denn für Spontaneität ist in meinem Leben kein Platz mehr. Ich muss den Beamten, die mich rund um die Uhr bewachen, alle meine Unternehmungen Wochen im Voraus mitteilen, denn jeder Schritt, den ich vor die Wohnung setze, muss abgesprochen und vorbereitet sein. Selbst wenn ich nur Brot kaufen oder zum Friseur gehen will, fährt ein Aufklärungsteam aus LKA-Beamten vor mir dorthin. … Ich ziehe regelmäßig um und lebe seit zehn Jahren wie ein Nomade.“

Das ist das Risiko, mit dem Islamismus-Kritiker im freien Westen leben: In Pseudofreiheit ständig mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Siehe Salman Rushdie.

2013 hatte Abdel-Samad bei einem Vortrag in Kairo über den islamischen Faschismus referiert und sich damit wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Mohammed eine Todesfatwa von drei ägyptischen Islamisten eingehandelt. Ein ehemaliger Muslimbruder, der sich von diesem islamistischen Geheimbund nicht nur losgesagt, sondern ihn als religiöse Kopie der gerade gestürzten Mubarak-Diktatur gebrandmarkt hatte, ist in den Augen der Fundis dem Tod geweiht.

Mehr als eine Echokammer für Islamismus-Kritiker

Mit seinem neuesten Werk wird er dieses Risiko nicht verringern. Dabei ist es alles andere als eine simple Echokammer für Islamismus-Kritiker. Wer vom Hassobjekt der Hassprediger ein bloß antiislamistisches Pamphlet und nach dem Zusatztitel „Warnung an den Westen“ nur ein faktenreiches Skizzieren der Bedrohung durch den politischen Islam erwartet, wird enttäuscht.

So einfach ist das nicht. Der Westen wird auch vor sich selbst und der Wirkung seiner Widersprüchlichkeiten, Ängste, Opportunismen gewarnt. Das hat viel mit unzureichendem Problembewusstsein in Bezug auf Islamismus zu tun, aber eben nicht nur.

Narzistischer Moralismus

Auch wir Journalisten bekommen unser Fett ab, weil viele von ihnen es sich zu kommod im Mainstream eingerichtet haben und manche von ihnen den Buchautor nicht mehr zu Talkshows im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einladen, seit er einmal eine Meinung kundtat, die auch die AfD teilen könnte: dass nämlich „der Islam politische und juristische Elemente enthalte, die mit der Demokratie nicht vereinbar seien“. Abdel-Samad sieht manche Medien „gefangen in einem narzistischen Moralismus“.

Erodierende Freiheit

Als er Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland kommt, glaubt er, „im besten und freiesten Europa aller Zeiten zu leben.“ Obwohl es in der neuen Heimat viele individuelle Freiheiten gibt, „von denen ich in Ägypten nur träumen konnte“, findet er selten „die Freiheit, die die Menschen selbst gestalten.“

Seit der Wende 1989 scheine die Politik den Bezug zur Freiheit verloren zu haben und drifte immer mehr in die Funktionalität ab. „Viele drückten ihre Freiheit nur noch durch Konsum oder Verhinderungspolitik aus“, konstatiert Abdel-Samad und geht mit der politischen Linken ins Gericht: „Religionskritik, Frauenrechte, Kunst- und Meinungsfreiheit und der Schutz von Homosexuellen galten lange als genuin linke Forderungen. Doch wenn es um den Islam geht, bleiben diese Ideale im Verborgenen. Islamkritik gilt Teilen der neuen Linken dann als Islamophobie, Angriffe auf Frauen und Homosexuelle als kulturelle Eigenart, Meinungsfreiheit als mangelnde kulturelle Sensibilität und ein Theaterstück über den Propheten als blasphemisch.“

Multikulturalität versus Multikulturalismus

Im Kapitel „Gefangen in der Toleranzfalle“ entlarvt der Autor den „Multikulturalismus als Herrschaftsinstrument der neuen Linken“. Er unterscheidet zwischen Multikulturalität als gelebter Realität und dem Multikulturalismus als von oben verordnete Doktrin. Der Multikulturalismus habe „nie dem durchschnittlichen Migranten genutzt, sondern politisierten Migrantenverbänden und Islamisten, die im Namen von Vielfalt und Toleranz politische Machtpositionen eroberten“.

Die professionelle Organisation der Muslime hat nach Ansicht Abdel-Samads der Integration geschadet, weil die Verbände kein Interesse an einer Identifikation der Muslime mit Deutschland hätten. Denn das Misstrauen der Muslime gegenüber dem Westen nütze dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinem Netzwerk. Islamisten bräuchten das Misstrauen der Muslime gegenüber dem Westen, um junge Muslime zu rekrutieren.

Dieser Befund lässt sich wohl auf Österreich übertragen, da die einflussreichsten Islamverbände in Deutschland auch hierzulande dominieren.

Als Toleranz getarnte Selbstverleugnung

Abdel-Samad warnt den Westen auch vor „Selbstverleugnung unter dem Deckmantel der Toleranz“. Der durchschnittliche Muslim mag sich freuen, wenn er den Ruf des Muezzin hört oder die Ramadan-Beleuchtung auf der Straße sieht, aber an seinem Leben oder seiner Einstellung Deutschland gegenüber werde sich dadurch nichts ändern.

Der Durchschnittsdeutsche — Anmerkung: auch Durchschnittsösterreicher — hingegen mag sich fragen, warum der Weihnachtsbaum aus Schulklassen entfernt werden soll, um muslimische Schüler nicht auszuschließen, gleichzeitig aber muslimische Symbole in Innenstädten aufgehängt werden, um muslimische Präsenz zu demonstrieren.

Sein Polizeischutz erforderndes Risiko hat Abdel-Samad mit diesem Buch wohl nicht reduziert. Es wird die „Fatwaisten“ nicht milder stimmen.

Keine Freude macht sich Abdel-Smad auch unter den in allen, nicht nur linken Parteien anzutreffenden Opportunisten, die beim Anbaggern muslimischer Wähler tolerant über religiöse Intoleranzen hinweg- und nicht gern in den Spiegel hineinschauen, den ihnen ein geläuterter Muslimbruder vors Gesicht hält.

Abdel-Samad geht sogar ein weiteres Risiko ein, indem er ausführlich seine psychische Erkrankung als Folge der permanenten Ausnahmesituation reflektiert und damit seinen Gegner billige Munition für polemische Gegenoffensiven „Marke Totschlagargument“ liefert. Wer das Buch unvoreingenommen zu Ende liest, wird freilich auf den 286 Seiten nichts Pathologisches am Autor finden, sehr viel aber über Pathologien der westlichen Gesellschaft, die in ihrer dekadent-saturierten Bequemlichkeit möglicherweise gar nicht mehr fähig ist, diesen dringenden Warnruf zu hören.

Von Manfred Maurer

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