Bock als Gärtner: Die Türkei ist (noch) kein ehrlicher Makler

Österreich hofft auf Erdogans Anti-Terror-Unterstützung, hat es aber mit einem Terroristen-Freund zu tun

Alexander Schallenberg flog diese Woche mit einem Dankbarkeitsvorschuss nach Ankara: „Ich bin schon jetzt den türkischen Freunden dankbar für alles, was sie versuchen werden“, sagte der Außenminister nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan.

Die Dankbarkeit des Gastes aus Wien war der Hoffnung auf eine glückliche Wendung des Schicksals von Tal Shoham geschuldet. Die Familie des österreichisch-israelischen Staatsbürgers hatten Hamas-Terroristen am 7. Oktober zusammen mit 232 Leidensgenossen in den Gazastreifen entführt.

Sechs Angehörige von Tal wurden am 25. November im Rahmen eines vorübergehenden Waffenstillstandsabkommens freigelassen, der 39-Jährige befindet sich weiter in der Gewalt der Terroristen. Fieberhaft bemüht sich die österreichische Diplomatie, den Familienvater freizubekommen.

Rettet Erdogans guter Draht zur Hamas das Leben von Tal Shoham? ©Twitter

Auch der türkische Strohhalm wird ergriffen. Außenminister Fidan sagte jedenfalls Unterstützung zu. Und vielleicht ist die Hoffnung gar nicht unrealistisch. Denn die Türkei ist derzeit, so Schallenberg, „einer der wenigen Akteure mit belastbaren Kanälen zur Hamas“.

Willkommene Terrorpaten

Wie wahr. Erst im April hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan den Chefs der palästinensischen Terrororganisation, Ismail Haniyeh und Khaled Mashal, in Ankara einen freundlichen Empfang bereitet. Zu Wochenbeginn hatte Erdogan erklärt, dass mehr als 1000 Hamas-Mitglieder in türkischen Krankenhäusern behandelt würden. Wer so ein gutes Verhältnis zu den Terroristen pflegt, sollte sich von diesen auch etwas wünschen können. Zum Beispiel die Freilassung einer Geisel. Ein derartiger diplomatischer Erfolg würde zudem das österreichisch-türkische Jubiläumsjahr krönen: Beide Länder feiern heuer 100 Jahre Freundschaftsvertrag und 60 Jahre Anwerbeabkommen, das den Zuzug türkischer Gastarbeiter einläutete.

„Rotes Telefon“

Österreichs türkische Anti-Terror-Hoffnung reicht allerdings weit über den Fall Tal Shoham hinaus. Schallenberg war zu diesem Zweck nicht allein nach Ankara gereist. In seinem Gefolge befand sich neben dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, auch Omar Haijawi-Pirchner, Chef der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DNS). Konkret soll ein „rotes Telefon“ zum unbürokratischen und schnellen Informationsaustausch zwischen den Spitzen der Polizeibehörden eingerichtet werden. „Noch mehr Zusammenarbeit auch im Bereich der Terrorbekämpfung ist auch für Österreich wichtig. Damit wird auch die öffentliche Sicherheit in Österreich gefördert“, so Minister Fidan, der selbst aus dem türkischen Geheimdienst kommt.

Terrorspur in die Türkei

Wie wichtig eine derartige Kooperation wäre, zeigt der Fall des im vergangenen Dezember vereitelten Anschlages der Terror-Gruppierung „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) auf den Wiener Stephansdom. Zwei Tadschiken und eine aus der Türkei stammende Frau wurden in Wien festgenommen. Die entscheidenden Hinweise kamen freilich vom deutschen Verfassungsschutz, der den in Deutschland gemeldeten Tadschiken schon im Auge und beim Filmen des Stephansdoms „in einer für Touristen untypischen Weise“ sowie beim Checken der dortigen Überwachungskameras beobachtet hatte. Der Mann war kurz vor seinem Wien-Trip mehrere Tage in Istanbul gewesen, wo weitere Beteiligte der zur Zeit gefährlichsten Terror-Zelle vermutet werden. In dieser Situation hätte ein rotes Anti-Terror-Telefon schon gute Dienst erweisen können.

Anti-Terror-Kooperation mit Hamas-Verbündeten: Außenminister Schallenberg bei seinem türkischer Amtskollegen Hakan Fidan (r.) in Ankara. ©APA/BMEIA/Gruber

Erdogan und der IS

Allerdings muss vor allzu großen Hoffnungen auf Erdogans Hilfe im Kampf gegen den islamistischen Terror gewarnt werden. Denn der „Sultan“ hat sich in der Vergangenheit stets als Teil des Problems und nicht der Lösung erwiesen. Stichwort „Islamischer Staat“: Als der sunnitische IS vor mehr als einem Jahrzehnt in Syrien und im Irak Fuß fasste, sah der Sunnit Erdogan in den Terroristen zunächst ein Instrument zum Sturz seines syrischen Erzfeindes Bashir Assad. Lange konnten ausländische, auch österreichische Dschihad-Touristen ungehindert über die Türkei nach Syrien reisen. Die Türkei bildete den schwarzen Absatzmarkt für Öl aus vom IS eroberten Gebieten und verschaffte so den islamistischen Kopfabschneidern eine finanzielle Basis. Wie heute Hamas-Terroristen wurden vor zehn Jahren IS-Kämpfer in türkischen Spitälern versorgt. Erst als der IS im Sommer 2014 im irakischen Mossul türkische Diplomaten als Geiseln nahm, wurde Erdogan allmählich klar, dass die Islamisten kein kontrollierbares Werkzeug der türkischen Syrienpolitik abgeben würden.

Erdogan und die Hamas

Nachhaltig wirkte die Lektion nicht. Jetzt ist die Hamas Erdogans Liebling. Während ein Triumph dieser Terrororganisation für den Westen ein Albtraum wäre, fürchtet der türkische Autokrat nach einer Niederlage der Hamas um nicht weniger als die nationale Existenz. Diese turko-apokalytptische Bedrohung setzt freilich eine antisemitische Vernebelung des Denkens voraus, eine Bedingung, die Erdogan jedenfalls erfüllt: Allen Ernstes warnte der Islamokrat diese Woche vor einem Sieg Israels über die palästinensischen Terroristen und einem daraus resultierenden jüdischen Angriff auf die Türkei: „Glaubt nicht, dass Israel im Gazastreifen aufhören wird“, sagte Erdogan im Parlament in Ankara. Wenn Israel nicht gestoppt werde, „wird dieser Schurken- und Terrorstaat früher oder später Anatolien ins Visier nehmen.“ Und: „Wir werden weiterhin an der Seite der Hamas stehen, die für die Unabhängigkeit ihres eigenen Landes kämpft und Anatolien verteidigt.“

Antisemitische Ängste

Wer ernsthaft behauptet, der Ministaat Israel hege imperiale Gelüste gegenüber der 35 mal so großen und nicht einmal direkt angrenzenden Türkei, ist wohl inspiriert von der Ideologie des Ex-Premiers Necmettin Erbakan, der seinen Landsleuten die Welt mit antisemitischen Verschwörungstheorien erklärt und den Islam als Gegenmittel propagiert hatte. Der Gründer der Milli-Görüs-Bewegung war der politische Ziehvater Erdogans, weshalb dessen Gesinnung wenig überraschend im Kopf des Zöglings weiterlebt.

Und damit wären wir wieder bei den Tücken der geheimdienstlichen Zusammenarbeit mit dieser Türkei. Möglicherweise versteht Erdogan darunter nämlich etwas ganz Anderes als europäische Partner. So wurde diese Woche im türkischen Parlament ein Gesetzesentwurf eingebracht, der wie in Russland und Georgien Journalisten und Wissenschaftlern mit Haft bedroht, wenn sie für ausländische Interessen arbeiten.

Was Erdogan gern hätte…

Erdogan würde sicher gern die Dienste Österreichs bei der Verfolgung seiner Kritiker in der türkischen Diaspora in Anspruch nehmen. Dass dies keine bloße Spekulation ist, zeigt das Beispiel des in Steyr lebenden Austro-Türken Idris T., den die dortige Staatsanwaltschaft vor einiger Zeit verständigt hatte, dass sie ein Rechtshilfeersuchen der türkischen Justiz abgewiesen habe: T. hatte auf Facebook Unfreundlichkeiten über Erdogan gepostet. Dass offizielle und inoffizielle Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes die austro-türkische Community ausspionieren, ist amtsbekannt. Der heimische Staatschutz wird mit derartigen Spitzeldiensten wohl nicht dienen wollen.

Grenzen der Kooperation

Umgekehrt sind von einer bilateralen Geheimdienstkooperation keine Informationen aus der Türkei über von dort aus operierende islamistische Netzwerke zu erhoffen. Dabei geht es nicht um Terrorgruppen, sondern Organisationen des politischen Islam, der auch Österreich längst krakenhaft umschlungen hat, auch wenn viele Politiker dies nicht wahrhaben wollen. Mit dem politischen Islam hat Erdogan kein Problem, er ist vielmehr ein wichtiger Kopf dieser Hydra. So ist das noch immer viel zu wenig beachtete Phänomen des muslimischen Antisemitismus in Österreich nicht zuletzt auf Einflüsse türkischer Vereine und Verbände zurückzuführen, die der türkischen Regierungspartei AKP entweder sehr nahe oder zumindest nicht sehr fern stehen.

Als kleinster gemeinsamer Nenner einer Geheimdienstkooperation bleibt die Bekämpfung gewaltbereiter Terroristen, wobei selbst das nicht uneingeschränkt gelten kann, siehe Erdogans Verbundenheit mit der Hamas.

Islamisten mit Tarnkappe

Eine mindestens ebenso große, nach Ansicht vieler Experten noch größere Gefahr geht jedoch vom legalistischen Islamismus aus, der die Islamisierung der Gesellschaft im Rahmen der legalen Möglichkeiten, die eine Demokratie bietet, durchzusetzen versucht. Nicht alle Islamisten schreien unüberhörbar laut „Her mit dem Kalifat“, die klügeren Köpfe unter ihnen arbeiten still und bisweilen sogar mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen an der Realisierung ihrer mit dem freiheitlich-demokratisch-säkularen Wertekanon unvereinbaren Träume.

Immerhin befasst sich der soeben von der DSN veröffentlichte Verfassungsschutzbericht 2023 erstmals ausführlich mit dem legalistischen Islamismus. Allerdings geschieht dies in sehr allgemeiner Weise, ohne — wie etwa bei der rechtsextremen Szene — Organisationen und deren Aktivitäten konkret beim Namen zu nennen, was nicht auf eine sonderlich hohe Erkenntnisdichte der heimischen Verfassungsschützer in dieser Extremismus-Kategorie schließen lässt. Deutsche Verfassungsschutzberichte liefern im Vergleich wesentlich detailliertere Analysen über legalistische Organisationen, die vielfach auch in Österreich vertreten sind.

Warten auf säkulare Renaissance

Im Kampf gegen dieses unterbelichtet Phänomen könnte der Türkei tatsächlich eine tragende Rolle zukommen. Allerdings erst, wenn sie die Ära Erdogan überwunden und zu jenem säkularen Staatswesen zurückgekehrt ist, das vor 100 Jahren einen Freundschaftsvertrag mit Österreich geschlossen hat. Bis dahin bleibt es ein Sicherheitsrisiko, die Türkei als ehrlichen Makler zu betrachten.

Analyse Manfred Maurer

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