Deutschland bekommt erstmals Nationale Sicherheitsstrategie

Mit einer „Politik der Integrierten Sicherheit“ will die deutsche Regierung auf die Herausforderungen einer instabileren Weltordnung und wachsender Bedrohungen reagieren. Deutschlands sicherheitspolitisches Umfeld habe sich allein in den zurückliegenden knapp eineinhalb Jahren stark verändert, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie. Er verwies vor allem auf den russischen Angriff auf die Ukraine.

„Bei allen Veränderungen bleibt es die zentrale Aufgabe des Staates, für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen, ohne Abstriche“, so Scholz. Es gehe nicht mehr allein um Verteidigung und Bundeswehr, „sondern um die ganze Palette unserer Sicherheit.“ Dazu gehöre Diplomatie genauso wie Polizei, Feuerwehr, technische Hilfswerke, Entwicklungszusammenarbeit, Cyber-Sicherheit und die Resilienz von Lieferketten. „All diese Mittel und Instrumente müssen ineinander greifen und zusammenwirken, um die Sicherheit unseres Landes zu stärken“, sagte der Kanzler.

Scholz stellte die zuvor nach monatelangen Beratungen vom Kabinett beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie zusammen mit seinen Ministerinnen und Ministern Annalena Baerbock (Grüne/Außenpolitik), Nancy Faeser (SPD/Innenpolitik), Christian Lindner (FDP/Finanzen) und Boris Pistorius (SPD/Verteidigung) vor.

Gemäß der Sicherheitsstrategie sollen alle relevanten Politikbereiche und Akteurinnen und Akteure einbezogen werden, um Deutschland widerstandsfähig zu machen. Dies reicht von der Landes- und Bündnisverteidigung über den Schutz technischer Infrastruktur, die Cyber- und Weltraumsicherheit bis hin zur Rohstoff-, Energie- und Ernährungssicherheit. Genannt werden auch die Zivilverteidigung und der Bevölkerungsschutz, die Entwicklungspolitik, der Schutz vor fremder Einflussnahme und Spionage sowie der Umgang mit Klimakrise und Pandemien. Einbezogen werden sollen Bund, Länder und Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger.

Außenministerin Baerbock betonte, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe gezeigt, „dass Frieden und Freiheit nicht vom Himmel fallen“. Auch Baerbock sagte, die Herausforderungen für die Sicherheit Deutschlands zögen sich durch alle Lebensbereiche. Dies gelte etwa für Medikamente genauso wie für den Cyber-Raum und die Sauberkeit von Wasser. Zudem werde die Strategie nur funktionieren, „wenn wir sie europäisch und transatlantisch verankern“. Die Bundeswehr müsse mehr Geld bekommen, Europa müsse im Verbund mit einer geeinten und starken NATO handlungsfähig sein. Deshalb müssten die militärischen Fähigkeiten Europas interoperabel gemacht werden.

Deutschlands Regierung bekennt sich in der Sicherheitsstrategie auch zur Stärkung der Bundeswehr, indem im langjährigen Durchschnitt zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiert werden. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung solle gegen illegitime Einflussnahme verteidigt, die Abhängigkeit bei Rohstoffen und Energie durch Diversifizierung der Lieferbeziehungen abgebaut werden.

Finanzminister Lindner betonte, Sicherheit habe auch eine finanzielle Dimension. „Fiskalische Reserven bedeuten in Krisensituationen eben, Handlungsvermögen zu haben“, sagte der FDP-Vorsitzende. So wären die Corona-Pandemie und der Energiepreisschock im vergangenen Jahr unter anderen Umständen mit einer erheblichen Gefährdung des sozialen Friedens verbunden gewesen – „wenn wir nicht über die fiskalischen Reserven verfügt hätten, um die Vernichtung von Existenzen abzuwenden“.

Auf die Bildung des lange diskutierten Nationalen Sicherheitsrats zur Koordination des Regierungshandelns verzichtet die Koalition aus SPD, Grünen und Liberalen. Man habe den Mehrwert der verschiedenen Vorstellungen sorgfältig erwogen „und einen größeren Mehrwert nicht erkannt“, sagte Scholz. Es gebe den Bundessicherheitsrat, der entsprechende Entscheidungen treffe. Baerbock verwies auf die guten Erfahrungen mit dem Sicherheitskabinett nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Es habe sich gezeigt, dass man in kritischen Momenten vertrauensvoll zusammenkommen und entscheiden könne. Dies werde auch in Zukunft fortgeführt.

„Das heutige Russland ist auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum“, heißt es in dem Dokument. Und: „China ist Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale.“ Dabei hätten die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zugenommen. „China versucht auf verschiedenen Wegen, die bestehende regelbasierte internationale Ordnung umzugestalten, beansprucht immer offensiver eine regionale Vormachtstellung und handelt dabei immer wieder im Widerspruch zu unseren Interessen und Werten.“

Der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hatte zuvor Zweifel an der Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie. „Der entscheidende und der schwierigste Punkt ist regelmäßig nicht die Erarbeitung eines Dokuments, sondern seine Umsetzung“, sagte Ischinger am Mittwoch im Deutschlandfunk. In einer Dreierkoalition wie jetzt im Bund werde eine gemeinsame Umsetzung „vermutlich auf der Strecke bleiben“.

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