EU und Golfstaaten vereinbarten engere Zusammenarbeit

Trotz großer Differenzen will die EU künftig enger mit der Gruppe von sechs einflussreichen Golfstaaten zusammenarbeiten. Bei ihrem ersten Gipfeltreffen verständigten sich beide Seiten auf eine vertiefte Partnerschaft, etwa bei Handelsangelegenheiten, im Kampf gegen den Klimawandel und bei Sicherheitsfragen. „Die Zukunft unserer beiden Regionen ist eng miteinander verbunden“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel.

„Dieser Gipfel eröffnet ein neues – und ehrgeizigeres – Kapitel unserer Zusammenarbeit und wird uns helfen, bei vielen unserer gemeinsamen Herausforderungen eine größere Übereinstimmung zu erzielen. Ich hoffe, dass dies das erste von vielen Treffen zwischen unseren Regionen auf Staats- und Regierungschefebene sein wird“, so Ratspräsident Charles Michel in seiner Eröffnungsrede. Der aktuelle geopolitische Kontext sei äußerst schwierig und erfordere viel Mut und Klarheit: „Und ich bin absolut davon überzeugt, dass wir in Europa und in der Golfregion den aufrichtigen Wunsch haben, viel stärker zusammenzuarbeiten und Brücken zu bauen.“

Der Ratspräsident betonte auch „die gemeinsame Verantwortung für den Schutz der regelbasierten internationalen Ordnung und der UN-Charta“. Kommissionspräsidentin von der Leyen bezeichnete das Treffen als „absolut historisch“: „Wir betreten Neuland, indem wir uns gegenseitig als strategische Partner betrachten. Strategische Partner zu sein bedeutet, einander zuzuhören, einander zu respektieren, einander zu vertrauen“, betonte sie in ihrer Rede.

Im Fokus standen bei dem Spitzentreffen vor allem der Nahost-Konflikt und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Verhandlungen zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung gestalteten sich allerdings bis zuletzt schwierig. So wollten die Golfstaaten vor dem Treffen nach Angaben von EU-Diplomaten beispielsweise nicht akzeptieren, dass in dem Text nur zu einem Verzicht auf eine Unterstützung Russlands aufgefordert werden soll. Aus ihrer Sicht sollten stattdessen Waffenlieferungen an alle Konfliktparteien gestoppt werden. In der gemeinsamen Abschlusserklärung wird nun eine UNO-Resolution aus dem Jahr 2022 zitiert, in der die Aggression Moskaus aufs Schärfste verurteilt und Russland zum Abzug seiner Truppen aus der Ukraine aufgefordert wird.

Mit Blick auf den Nahost-Konflikt riefen die Gipfelteilnehmer zu einer sofortigen Waffenruhe auf und kündigten weitere Bemühungen um eine Zweistaaten-Lösung an. „Wir sind besorgt über die zunehmenden Spannungen in der Region und fordern alle Parteien auf, Zurückhaltung zu üben, eine weitere Eskalation zu verhindern und sich zu engagieren“, heißt es in der Erklärung.

Den Vorsitz führten EU-Ratspräsident Michel und der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani, als amtierender Vorsitzender des Golfrates (GCC). Vertreter auf Regierungschefebene aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Saudi-Arabien, Oman, Katar und Kuwait wurden von Michel und von der Leyen in Brüssel begrüßt. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) war nicht dabei, auch sein deutscher Kollege ließ sich durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron vertreten. Insgesamt nahmen die Staats- und Regierungschefs von 21 der 27 EU-Staaten an dem Gipfel teil.

Belgiens Regierungschef Alexander De Croo bezeichnete das Treffen vor Beginn als „überfällig“. Er sprach sich für eine Stärkung der wirtschaftlichen Verbindungen aus, und betonte die Rolle der Golfstaaten als Mediatoren. Auch sein irischer Amtskollege Simon Harris sieht in dem gemeinsamen Gipfel eine „historische Möglichkeit“, um zusammen für eine Deeskalation und Frieden im Nahen Osten zu sorgen. Für die lettische Ministerpräsidentin Evika Silina bringt das Treffen „die Partnerschaft auf ein neues Level“.

Die Zusammenarbeit soll bei gemeinsamen globalen Herausforderungen, in der Wirtschaft und im Bereich Energie verstärkt werden. Die Europäische Union ist der zweitgrößte Handelspartner der GCC-Länder. Das Handelsvolumen belief sich 2023 laut Ratsangaben auf 170 Mrd. Euro. Mineralische Brennstoffe machten dabei über drei Viertel der EU-Importe aus. Die Importe von Brennstoffen haben sich seit 202 mehr als verdreifacht. Als Grund gilt, dass sich die Bezugsquellen der EU infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verlagert haben.

In der gemeinsamen Abschlusserklärung verpflichteten sich beide Seiten dazu, die Kooperation im Energiebereich zu intensivieren: Vorgesehen sei etwa eine stärkere Zusammenarbeit im Bereich der Energiesicherheit – einschließlich Energieeffizienz und erneuerbarer Energien.

„Dieses Gipfeltreffen ist ein Wendepunkt im Verhältnis der beiden Weltregionen zueinander und spiegelt die wachsende Anerkennung wider, dass eine weit reichende Zusammenarbeit beiden Seiten gleichermaßen nützt und großes Potenzial birgt. In einer Weltlage, die sich rasant entwickelt, sind die EU und die Golfstaaten Partner dabei, Chancen zu nützen. Das reicht von Handel, Energiepolitik und Klimawandel über Innovation und Kultur bis hin zu Sicherheit, Bekämpfung des Terrorismus und der illegalen Migration“, kommentierte ÖVP-EU-Delegationsleiter Reinhold Lopatka, Vorsitzender der Europaparlaments-Delegation für die Beziehungen zur Arabischen Halbinsel.

Für Kritik sorgte die Anwesenheit des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman sechs Jahre nach dem brutalen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. US-Geheimdienste sehen den Kronprinzen als Drahtzieher. Das Königshaus weist das zurück. Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund sagte: „Die Vorstellung, dass europäische Staats- und Regierungschefs lächelnd einem Mann die Hand schütteln, der wohl für die Zerstückelung eines Journalisten verantwortlich ist, ist zutiefst verstörend.“ Dennoch wird Bin Salman wohl bald Gastgeber sein: Das nächste Gipfeltreffen zwischen der EU und den Golfstaaten soll 2026 in Saudi-Arabien stattfinden.

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