(K)eine Religion der Unterwerfung

Islam-Theologe Khorchide prangert „Gottes falsche Anwälte“ an und erntet Kritik von vielen Seiten

Mouhanad Khorchide ist scharfen Gegenwind gewohnt. Schon sein 2012 erschienenes Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ hatten islamische Verbände heftig kritisiert. Morddrohungen bescherten dem Leiter des Zentrums für Islamische Theologe an der Universität Münster Polizeischutz. Als Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) im Juli den in Beirut geborenen Österreicher als Berater der „Dokustelle Politischer Islam“ präsentierte, kündigte die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) die davor zugesagte Kooperation auf.

Auch sein neuestes Werk „Gottes falsche Anwälte — der Verrat am Islam“ ist alles andere als dazu angetan, von der Fraktion „Politischer Islam“ als Zeichen der Umkehr gedeutet zu werden. Denn Khorchide zeichnet darin das Bild einer „Religion der Unterwerfung, die in den Menschen lediglich Objekte des Gehorsams und nicht Subjekte der Liebe sieht“.

Unterschätzte Gefahr

Die Struktur der Unterwerfung besteht für Khorchide im Herrscherkult der Religionsführer, in der Vermengung von Religion und Politik, in der Etablierung eines auf Rache und Strafe basierenden Gottesbildes und in einer Degradierung der Frau.

Selbst der Koran sei zu einem Mittel der Manipulation und Unterwerfung gemacht worden, indem der historische Kontext ausgeblendet und die normative Interpretation über die ethisch-spirituelle gestellt wurde. Sichtbarer Ausdruck dieser Fehlentwicklung: der politische Islam, den Khorchide für „viel gefährlicher“ als Salafismus oder Dschihadismus hält, weil er die Gesellschaft „viel subtiler“ zu durchdringen versucht.

Gottesstaat ohne Fundament

„Aus dem Koran können wir Werte der Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit sowie der Verantwortlichkeit und des Mitspracherechts ableiten, aber keinerlei Vorstellungen über ein bestimmtes politisches System“, schreibt Khorchide und entzieht so den Gottesstaatlern das theologische Fundament. Er fordert die Muslime zur kritischen Selbstreflexion auf: Diese müssten „dringend ein kollektives Bewusstsein entwickeln, dass unser Gott weder gewalttätig noch sadistisch ist“.

Khorchide will aufklären, dass der Islam, wie er sich heute präsentiert, nichts zu tun hat mit dem Ur-Islam. Er sieht das Übel 30 Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed (632) seinen Lauf nehmen. Damals habe die Manipulation begonnen, weil die Kalifen sich — analog zu christlichen Herrschern — als Vertreter Gottes auf Erden inszenierten. Während das Christentum diese Phase überwunden hat, befindet sich der politisierte Islam auf dem Vormarsch.

„Schönheitschirurg“

Da Khorchide mächtige Strukturen in Frage stellt, ist er ein rotes Tuch für konservative Islam-Verbände, die auch schon seine Abberufung als Cheftheologe der Uni Münster betrieben. Doch sein neuestes Werk sorgt auch unter ihm wohl gesonnenen Kollegen für Diskussionen. Es geht dabei um den Zeitpunkt, ab dem falsche Anwälte Gott missbrauchten. Bei Khorchide beginnt es im Jahr 661. Mohammed und seine ersten vier Nachfolger stehen noch für den wahren Islam, der erst danach auf die falsche Spur geriet. Dem widerspricht Abdel-Hakim Ourghi. Schon Mohammed sei „der weltlich-politische Führer einer allmählich wachsenden Gemeinde“ gewesen. Und: „Ab 624 begann in Medina eine neue, militante Ära — eine Ära der Gewaltmaßnahmen —, in welcher der Prophet Abschied vom Dialog mit den Nichtmuslimen nahm“, so der Freiburger Theologe und Autor des Buches „Ihr müsst kein Kopftuch tragen — Aufklären statt verschleiern“ (Claudius-Verlag). Wegen Verklärung der Anfänge des Islam sieht Ourghi in Khorchide „eine Art theologischer Schönheitschirurg“. Die Muslime könnten es sich „heute nicht mehr leisten, nur das Gute ihrer Geschichte auszuwählen“. Auch die Schweizer Islamismus-Expertin Saida Keller-Messahli hält es für „nicht fruchtbar, den Islam zu verschönern und zu schonen, will man wirklich Probleme lösen“. Die von Khorchide verinnerlichte Idee von Barmherzigkeit und Gnade sei „leider im Islam nur randständig, wenn nicht sogar inexistent“.

Von Manfred Maurer

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